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Dopingdefinitionen - Therapie oder Leistungssteigerung?

Therapie oder Leistungssteigerung?

Dopingmittel sind von besonderem Interesse, weil hier ein Transfer von der Pharmazie bzw. Medizin in den Sport auf Basis der Ableitung einer leistungssteigernden Wirkung ursprünglich pharmazeutischer Präparate stattfindet. Damit stellt sich die Frage, wie die Grenze zwischen einer therapeutischen, d. h. aus medizinischer Sicht notwendigen Wirkung und einer leistungssteigernden, d. h. medizinisch nicht indizierten Wirkung zu ziehen ist. Die Bearbeitung dieser Frage wird insbesondere dadurch erschwert, dass hier zwei Bereiche aufeinandertreffen, die sich teils antagonistisch zueinander verhalten, nämlich die Bereiche der sportlichen Leistungssteigerung und der der medizinischen Therapie. Beide schließen sich insofern aus, als dass eine sportliche Leistungssteigerung kein im eigentlichen Sinne therapeutisches Ziel ist. Ein sportmedizinisches Therapieziel liegt in der Wiederherstellung eines Gesundheitszustandes, der die Ausübung einer Sportart bzw. ein leistungssteigerndes Training erlaubt. Programmatisch sieht Steinacker die Zukunft der Sportmedizin im »‚gute[n] Sportarzt‘«1, dessen Leitbild geradezu idealtypisch ausfällt. Der gute Sportarzt vermittelt Faszination und Unabhängigkeit, während er sich vom technischen Experten zum wohlmeinenden Berater und Arzt entwickelt, »der nicht auf kurzfristige Erfolge orientiert ist, sondern besonders langfristige Perspektiven wie Gesundheit, Karriere und Persönlichkeitsentwicklung unterstützt.«2 Zentral steht dabei die Behandlung gesundheitlicher Probleme ohne Leistungsmanipulation. Ähnlich äußert sich Donike bereits 20 Jahre früher, der in der Position des Sportmediziners eine »schwierige, aber auch dankbare Aufgabe«3 sieht, der zufolge der Sportarzt sowohl dem Wunsch der Athleten nach möglichst großer individueller Leistung als auch dem Drängen der Verbandsfunktionäre nach Einhaltung der Satzung und der sportlichen Regeln gerecht werden“4 müsse. Die Notwendigkeit eines solchen Leitbildes und die umfassende Problemstellung resultieren aus dem grundlegenden Widerspruch zwischen einem idealisierten Sportsgeist, wie ihn die WADA propagiert, sowie insbesondere der darin beschworenen Gesundheit des Athleten einerseits und der lebensweltlichen Sportpraxis andererseits, die sich vornehmlich an einer Leistungssteigerung orientiert, d. h. die anderen Werte der Leistungssteigerung unterordnet.

Somit stellt sich das akute Problem der Vermittlung von Gesundheit und Leistung bzw. die Frage, ob beide Werte überhaupt miteinander vermittelbar sind. Soziologische Analysen wie die von Bette und Schimank deuten darauf hin, dass eine solche Vermittlung nur möglich ist, wenn alle beteiligten Akteure ihre Interessen am Sport grundlegend überdenken, was indes derzeit keinesfalls zu erwarten ist.5 Im Rahmen der vorliegenden auf die Pharmazie und Medizin fokussierten Untersuchung bildet diese Vermittlung das zentrale Untersuchungsfeld der wissenschaftstheoretischen Analyse. Es wird geprüft werden müssen, inwiefern dieser für die Dopingproblematik grundlegende Konflikt auf der Ebene pharmazeutischer und medizinischer Forschung vermittelt werden kann, ohne von vornherein einem bestimmten Akteursinteresse zu folgen. d. h. insbesondere auch, dass die Forderung nach einem »sauberen Sport« nicht der unumstößliche Imperativ sein kann, solange dem Sportler nicht die Entwicklungen moderner medizinischer Forschung vorenthalten werden sollen. Bevor allerdings eine solche Grenzziehung bzw. Normsetzung möglich wird, d. h. eine genaue Festsetzung, inwiefern der nicht-therapeutische Gebrauch pharmazeutischer Präparate erlaubt sein soll, gilt es, das Verhältnis der therapeutischen wie der nicht-therapeutischen bzw. leistungssteigernden Gebrauchsweise mit Blick auf die Listenpolitik zu bestimmen.

Wie in vielen anderen Konfliktfällen, in denen komplizierte Entscheidungen zu treffen sind, d. h. solche, die überhaupt erst durch eine eingehende wissenschaftliche Analyse entscheidbar werden, spielt auch hier das Expertenwissen eine entscheidende Rolle. Es entsteht nämlich der Verdacht, dass die Entscheidung, ob nun ein Dopingvergehen vorliegt, einfach an die Naturwissenschaftler bzw. Mediziner weitergereicht wird, da man sich an einer solch undurchsichtigen Gemengelage einfach nicht die Finger schmutzig machen will. Anstatt die zugrundeliegende und durchaus offensichtliche Frage nach dem Verhältnis von therapeutischer und ergogener Anwendung zu klären, wurde die gegenwärtige Liste in juristischer Hinsicht weitgehend formalisiert, d. h. vor allem von der ethischen Verantwortbarkeit des Sportlers bereinigt. Die dennoch notwendigen normativen Setzungen, nämlich die Festlegung, welche Mittel und Methoden verboten sind, werden also von der Ebene der ethisch-normativen Entscheidungsfindung bzw. der individuellen Verantwortlichkeit eines ethischen Subjekts (also des Sportlers, des Betreuers bzw. des betreuenden Arztes) in einen Expertenbereich verlagert, nämlich den der Pharmakologen und Sportmediziner, der sich demokratischen Bestimmungsverhältnissen bzw. Meinungsbildungsprozessen per definitionem verschließt. Juristische Tatbestände werden also in erster Linie durch Experten begründet und verwaltet, wie dies die Causa Pechstein deutlich vor Augen führt: Das Verdachtsmoment gegen die Athletin beruht auf wissenschaftlichen Blutanalysen. Mehr noch: Nach dem Inkrafttreten der verschuldensunabhängigen Haftung und dem Rekurs auf eine Bluthistorie im aktuellen WADA-Code können nur Experten überhaupt noch einen Tatbestand generieren. Auch die Richter am CAS sind ihrerseits auf Gutachten angewiesen, um eine Entscheidung zu fällen.

Das entscheidende normative Moment für das Verbot eines Mittels oder einer Methode liefern die obengenannten Kriterien der WADA. Diese Kriterien umfassen (1.) die Feststellung einer Leistungssteigerung, (2.) die Feststellung einer Gesundheitsgefährdung und (3.) die Verletzung des Sportsgeistes. Das dritte Kriterium wurde dabei im Laufe der Zeit zugunsten der Ideologie eines Sportsgeistes geändert. So gibt Donike noch 1986 an, dass neben der Leistungssteigerung und der Gesundheitsgefährdung die »Nachweismöglichkeit«6 entscheidend sei. Wie der Fall Pechstein zeigt, hat die Änderung des dritten Kriteriums große Folgen für die Dopingbekämpfung, da der direkte Nachweis nicht mehr notwendig ist und somit bereits Indizien für eine Sanktionierung ausreichen. Das Kriterium der Nachweismöglichkeit basiert Donike zufolge auf »der allgemeinen gültigen pädagogischen Regel […], daß die Aufstellung von nicht kontrollierbaren Verboten sinnlos ist«7, die aber mit Blick auf die Umsetzung der verschuldensunabhängigen Haftung außer Kraft gesetzt werden musste, weil sonst solche Dopingtechniken nicht sanktionierbar wären, die sich per se einer Analytik entziehen. Offenkundig wird die konzeptuelle Hilflosigkeit – oder wie Donike es drastischer formuliert die Sinnlosigkeit der Anti-Doping-Bemühungen –, wenn der technischen Entwicklung pharmazeutischer Präparate und deren stets schwieriger werdenden Nachweisbarkeit mit einer Aufweichung des Nachweises der Schuld auf Seiten des Anklägers begegnet wird. Der Gebrauch von Dopingtechniken ist schon auf der physiologischen Ebene nicht in allen Fällen ein eindeutig zu konstatierender Befund im Sinne eines objektiv feststellbaren Vergehens (d. h. des Vorhandenseins einer Substanz), was den wissenschaftstheoretischen Schluss nahelegt, dass es sich im Falle des Dopings um einen besonderen Objektbereich handelt. Dieser Objektbereich lässt sich mit den Nachweismethoden, die eine materiale Substanz aufspüren, nicht in jedem Fall eindeutig bestimmen, da solche Substanzen entweder nicht bestimmbar sind oder aber ihr Vorhandensein keinen Rückschluss auf ein Dopingvergehen zulässt.

Aus pharmazeutischer bzw. medizinischer Perspektive sind insbesondere die Kriterien (1.) und (2.) interessant, da diese Kriterien auf entsprechenden fachlichen Forschungsresultaten basieren. Die Feststellung einer Leistungssteigerung heißt, dass das Mittel oder eine Methode das Potential besitzt, sportliche Leistung zu steigern, bzw. diese de facto steigert. Das Kriterium der Leistungssteigerung spielt darüber hinaus im Rahmen der TUE eine entscheidende Rolle, da eine TUE nur dann erteilt wird, wenn der therapeutische Gebrauch zu keiner zusätzlichen Leistungssteigerung führen würde, die auch im Rahmen einer Herstellung des gesundheitlichen Normalzustandes unter legitimen medizinischen Bedingungen zu erwarten wäre. Das Kriterium der Leistungssteigerung beinhaltet allerdings im Rahmen des Sports eine ungeklärte Ambivalenz dahin gehend, dass primär die Leistungssteigerung das eigentliche Ziel sportlicher Tätigkeit ist. Bette und Schimank zufolge führt gerade die Logik des Leistungssports zu dem Paradox, dass »niemals ein Endziel der Leistungsentwicklung«8 benannt werden kann. Obwohl dem Sport
idealtypisch das olympische Citius, altius, fortius zugrunde liegt, soll eine mögliche Leistungssteigerung durch pharmazeutische Präparate ausgeschlossen werden, sofern diese gemäß des zweiten Kriteriums zu einer Gesundheitsschädigung führen. Das eigentliche Problem liegt nun darin, dass die vermeintlichen Dopingmittel einerseits dem Sportler in seinem genuinen Leistungsstreben zugutekommen und andererseits dem ebenso gültigen Imperativ der Gesunderhaltung zuwider laufen können. In der gleichen Ambivalenz findet sich auch der Sportmediziner wider, wenn er auf Basis seines ärztlichen Ethos auf das Wohl seines Patienten reflektiert, da Dopingmittel, obwohl sie eben verboten sind, »eventuell in einem sehr weiten Sinne«9 das Wohl des Sportlers fördern können. Zugleich verweisen die Wiesing und Striegel darauf, dass in concreto kaum Mittel existieren, die einerseits als Dopingmittel verboten sind und andererseits aus ärztlicher Sicht notwendig zu verabreichen sind, weil ansonsten ein Schaden für den Patienten zu befürchten wäre. Die WADA versucht, dieser Ambivalenz mit einer weiteren Spezifizierung zu begegnen. In der Verbotsliste werden verbotene und spezielle Wirkstoffe unterschieden. Als spezielle Wirkstoffe gelten alle diejenigen, die nicht in die Klasse der Anabolika, Hormone bzw. Stimulantien gehören, verbotene Methoden gelten generell nicht als spezielle Wirkstoffe. Das Vorhandensein verbotener Wirkstoffe führt notwendig zu einer Sanktion, während im Falle spezieller Wirkstoffe Ausnahmeregelungen, d. h. keine oder nur eine eingeschränkte Sanktion, möglich sind.10 Bestimmte, eigentlich als Doping verbotene Mittel dürfen also verwendet werden, wobei die Dosis und der Anwendungskontext entscheiden. Damit wird das Problem, ob nun eine illegitime Leistungssteigerung vorliegt, an die TUE-Kommissionen weitergereicht. Die Entscheidungsgrundlagen für Ausnahmegenehmigungen bzw. ‚mildernde‘ Umstände sind damit letztlich nicht nachvollziehbar und unterliegen den örtlichen TUE-Kommissionen. Vor allem ist der einzelne Sportler mit einer sehr unklaren Gemengelage konfrontiert, die eine den Richtlinien entsprechende und zudem gar noch ethisch tragfähige Entscheidung, ob die Einnahme eines Mittels noch therapeutisch oder schon leistungssteigernd ist, tendenziell verunmöglicht.

Die idealtypische Gegenüberstellung von Therapie und Leistungssteigerung bewertet auch das U.S. President's Council on Bioethics in seinem Bericht ‚Beyond Therapy‘ letztlich als inadäquate Unterscheidung für eine normative Bewertung des nicht-therapeutischen Wirkungsspektrums medizinischer Präparate. Während Therapie auf die Wiederherstellung eines Normalzustandes abzielt,11 wird mit jeder Art von Leistungssteigerung eine Überschreitung des Normalzustandes angestrebt und damit die zentrale bzw. obligatorische Aufgabe der Medizin zu einer marginalen bzw. außerordentlichen – mit der Konsequenz, dass »gene therapy for cystic fibrosis or Prozac for major depression is fine; insertion of genes to enhance intelligence or steroids for Olympic athletes is, to say the least, questionable.«12 Die klassische bzw. paradigmatische Festlegung der Medizin auf die therapeutische Intervention, d. h. die Wiederherstellung eines gesunden Normalzustandes erweist sich damit als eine idealtypische und in der Sportpraxis unzureichende Unterscheidung, weil in den konkreten Behandlungssituationen keine rein gesunden oder kranken Menschen vorkommen, sondern im Sport meist eben gesunde Menschen mit gewissen Einschränkungen, die es zu korrigieren gilt. So führt auch das Lehrbuch für Sportmediziner in Deutschland nur solche Krankheitsbilder auf, die unmittelbar die sportliche Betätigung einschränken.13

Diese Unterbestimmung konkreter lebensweltlicher Verhältnisse lässt sich auch anhand der Wege, auf denen eine Leistungssteigerung erzielt wird, verdeutlichen. Die klassischen Gebiete der Leistungssteigerung umfassen die Ausstattung14, das Training und die körperlichen Kräfte.15 Während die Ausstattung aus pharmazeutischer Perspektive unstrittig ist, zeigt sich mit Blick auf Trainingsmethoden und die Verbesserung der körperlichen Kräfte, dass eine Leistungssteigerung nur dann erlaubt ist, wenn sie nicht gesundheitsschädlich ist. Im Falle von Anabolika lässt sich die Gesundheitsgefährdung noch einfach veranschaulichen. Man denke dabei nur an die Geschädigten des DDR-Dopings.16 Aber welche Gesundheitsschädigung ist für einen Sportler bzw. dessen Arzt insgesamt akzeptabel, d. h. welche Beeinträchtigung der Gesundheit ist durch den Sport, also tätigkeitsbedingt und welche ist in dem Sinne schädlich, dass sie durch den Arzt als eine Indikation behandelt werden muss? Diese Frage ist deswegen so entscheidend, weil der Sport bzw. insbesondere der Hochleistungssport gerade naturgemäß mit den Grenzen körperlicher Belastbarkeit konfrontiert ist, und es dort gerade gilt, diese Grenze weiter hinauszuschieben. Der Idee einer vermeintlich eindeutigen Gesundheitsschädigung liegt diejenige eines gesunden bzw. natürlichen Körpers zugrunde, die ihrerseits im Sinne eines natürlichen Körpers für einen sauberen Sport bürgen soll. Hier konfligieren vermeintliche natürliche Objektivitätsstandards mit technologischen und insofern künstlichen Normsetzungen: Einerseits wird ein sauberer, d. h. natürlicher Körper postuliert, der auf natürlichem Wege in seiner Leistung verbessert werden kann. Andererseits aber kann diese Verbesserung nur durch eine technologische Einwirkung erreicht werden, d. h. der natürliche Körper wird ein künstlicher Körper. Erst dann kann überhaupt erst von einem sportlichen Körper die Rede sein. Die involvierten Naturwissenschaften, insbesondere den Sportmedizinern, wird vor diesem Hintergrund die Aufgabe übertragen, den vermeintlich natürlichen Körper in einem technologisch bestimmten Umfeld zu lokalisieren, was aber gerade unmöglich erscheint, wenn man berücksichtigt, dass die Natürlichkeit des Körpers schon durch die sportliche Tätigkeit selbst aufgehoben wird. Der Mediziner wird hier in eine aporetische Situation geführt, indem er eine vermeintlich klare Unterscheidung auf einem Feld treffen soll, das per definitionem eine Steigerung der natürlichen Grundlagen verlangt, und der Sportmediziner, wenn er nicht als Experte über einen Dopingfall zu entscheiden hat, diese Steigerung durch seine Tätigkeit selbst insofern befördert, als dass er dem Sportler das weitere Training ermöglicht.17

Die Causa Claudia Pechstein exemplifiziert diese Ambivalenz. Beschuldigt wegen der Verwendung einer verbotenen Methode zur Erhöhung des Sauerstofftransports wehrt sie sich mit dem Hinweis auf eine Blutkrankheit, die eventuell stress- oder krankheitsbedingt gerade zu Wettkampfzeiten zu erhöhten Retikulozytenwerten führt.18 Ganz abgesehen von der großen Ungewissheit, dass ein Spitzensportler an einer solchen Blutkrankheit, die man bisher noch nicht kennt, erkrankt sein kann und dennoch Höchstleistung erbringt sowie der Medieninszenierung Pechsteins, die ganz andere Fragen bezüglich ihrer Glaubwürdigkeit aufwirft, tritt hier die Ambivalenz zwischen notwendiger Therapie und verbotener Leistungssteigerung deutlich zutage: Eine reguläre Behandlung dient der Sportausübung, während eine irreguläre, d. h. eine nicht auf Basis einer Diagnose erfolgende Behandlung ein Dopingvergehen darstellt. Inwiefern ist nun eine reguläre Behandlung keine unfaire, sondern eine »gesunde« Leistungssteigerung? Wann geht eine Leistungswiederherstellung in eine Leistungssteigerung über?

Zusammenfassend lässt sich das Verhältnis von therapeutischer und leistungssteigernder Wirkung als eine ungeklärte Ambivalenz beschreiben, weil ein und dasselbe Mittel beide Wirkungen hat, die nicht strikt voneinander zu trennen sind, da die therapeutische Wiederherstellung eines gesunden Normalzustandes bereits eine Leistungssteigerung impliziert, die im Falle des Sportlers in doppelter Hinsicht zum Tragen kommt: Zum einen kann der Sportler erkranken und bedarf einer therapeutischen Leistungswiederherstellung, zum anderen ist der Wunsch nach einer Leistungssteigerung, die über den Normalzustand hinausgeht, ein genuines Interesse des Sportlers. Wie ist dieser letzte Wunsch medizinisch zu beurteilen, d. h. welche Art der Behandlung ist im Falle des Sportlers eine therapeutisch notwendige und welche eine zusätzliche Leistungssteigerung? Da die WADA in diesem Zusammenhang zu Beginn der Verbotsliste darauf hinweist, dass die medizinische Indikation maßgebend für den Gebrauch von leistungssteigernden Präparaten ist, gilt es, die Zusammenstellung der Liste zu untersuchen.

Der Schluss liegt nahe, dass eine kohärente Zusammenstellung einer Dopingverbotsliste erst dann möglich ist, wenn das Verhältnis von Therapie und Leistungssteigerung eindeutig geklärt ist und somit feststeht, welche Mittel wie zu beurteilen sind. Auffallend ist es in diesem Zusammenhang, dass die Kategorien der Leistungssteigerung und Gesundheitsgefährdung anscheinend, so sieht es zumindest die WADA, eindeutig feststellbar sind. Diese bereits theoretisch fragwürdige Unterscheidung funktioniert allerdings auch in der Praxis nur bedingt, da sich auf der Liste einige Mittel finden, deren lei-stungssteigernde Wirkung auf der Ebene pharmazeutischer bzw. medizinischer Forschung nicht nachgewiesen wurde. Im Lehrbuch der Sportmedizin für Ärzte heißt es dazu kurz und bündig, dass »[i]nsbesondere aufgrund der wenig konkreten Kriterien für die Aufnahme eines Wirkstoffes oder einer Methode in die Verbotsliste sich dort Substanzen oder Methoden wiederfinden [können], die man auf einer Verbotsliste nicht zwingend erwartet hätte.«19 Die obengenannte Untersuchung Kindermanns verweist ebenso auf Studien, die eine ergogene Wirkung zumindest für bestimmte Stimulantien, inhalativ verabreichte Beta-2-Agonisten, Glukokortikosteroide, Narkotika und Cannabinoide nicht bestätigen. Aber eben auch schon aus systematisch-begrifflichen Gründen kann die Zusammenstellung nicht kohärent sein, da Leistungssteigerung in der Regel nicht das maßgebende pharmazeutische Kriterium in der Entwicklung von Pharmaka darstellt, sondern dies ein bestimmter Therapieeffekt ist, der anschließend in den Kontext der Leistungssteigerung bei normaliter gesunden Sportlern übertragen wird. Die pharmazeutische Forschung selbst ist also gar nicht auf Leistungssteigerung ausgerichtet. Insbesondere der Sportmedizin obliegt dann die Aufgabe, eine entsprechende Gesundheitsgefährdung für zweckentfremdete Wirkstoffe zu diagnostizieren.

Wie es dann allerdings in Anbetracht der oft negativen Beurteilung eines ergogenen Effekts zu der konkreten Auswahl der verbotenen Substanzen und Methoden durch die WADA kommt, bleibt teils ein Geheimnis. Methodologisch betrachtet offenbart die Listenpolitik eine generelle Hilflosigkeit in der Übertragung eines idealtypischen Sportsgeistes in die lebensweltliche und insbesondere verwissenschaftlichte Sportpraxis im angehenden 21. Jahrhundert. Konkret lässt sich dies anhand der Beta-2-Agonisten zeigen. Die rechtliche Legitimation von Dopingsanktionen, hier des Einsatzes bestimmter Mittel zur Behandlung von Asthma Bronchiale, muss sich dabei auch »den wissenschaftlichen Entwicklungen und Erkenntnissen anpassen«20, da ansonsten eine nicht nachvollziehbare Verbotspolitik resultieren kann. Beta-2-Agonisten gerieten nach einem Clenbuterolskandal in der Tiermast 1993 ins Visier der Dopingfahnder, weil bei systemischer Verabreichung ein anaboler Effekt festgestellt werden kann. Demgegenüber konnte eine ergogene Wirkung bei inhalativer Gabe in therapeutischen Dosierungen nicht gemessen werden.21 Die Verbotspolitik verkompliziert sich weiterhin dadurch, dass bestimmte Beta-2-Agonisten (Salbutamol, Salmenterol und Terbutalin) seit 2001 jedoch auf Basis einer entsprechenden Indikation und einer TUE inhalativ angewendet werden dürfen, wiederum andere Wirkstoffe derselben Gruppe (Reproterol und Fenoterol) vollständig verboten sind. Dem medizinischen Sachstand nach weist Reproterol inhalativ verabreicht keine anabole Wirkung auf, jedoch einen schnelleren Wirkungseintritt als die durch die WADA erlaubten Mittel und somit eigentlich für eine therapeutisch gesehen gesündere Anwendung spricht. Dieser Erkenntnisbasis zufolge erfüllt inhalativ verabreichtes Reproterol keine der drei Kategorien, die die Verbotspolitik steuern. Mehr noch: Medizinisch gesehen erweist es sich gar als besonders geeignetes Mittel, das bei Sportlern durchaus häufiger vorkommende Asthma Bronchiale zu therapieren.22 Diese ungenügende Berücksichtigung des wissenschaftlichen Kenntnisstandes untergräbt seinerseits auch die rechtliche Legitimation des Dopingverbots, weil auch die Rechtsetzung im Sportwesen »den Nachweis eines schutzwürdigen Rechtsgutes sowie die Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Regelung«23 verlangt. Wenn nun aber weder eine leistungssteigernde oder gesundheitsschädliche Wirkung noch eine Maskierung eines Dopingmittels drohen, kann nur der Schluss gezogen werden, dass die Sanktionierung von Beta-2-Agonisten unverhältnismäßig ist. Der Verband überschreitet damit zugleich seine Regelungskompetenz.24 Damit untergräbt die WADA (bzw. die Verbände) ihre rechtliche und letztlich auch moralische Legitimationsbasis als Hüter des ‚Sportsgeistes‘, sofern die Verbände »ihre Regelungen zu den Beta-2-Agonisten [nicht] überarbeiten«25, d. h. dem wissenschaftlichen Stand anpassen.

Das Beispiel der Beta-2-Agonisten zeigt, dass die Listenpolitik nicht immer kohärent verfährt. Die verschiedenen Wirkungsspektra, d. h. therapeutisch oder leistungssteigernd, können nicht eindeutig unterschieden werden, so dass die sportmedizinische Ambivalenz zwischen Therapie und Leistungssteigerung durch die Verbotspolitik eher noch verstärkt wird. Diese systematischen Schwierigkeiten finden ihren Niederschlag dann auch in sportmedizinischen Forderungen nach einer Vereinfachung des Dopingsystems. Besonders fällt hier die Forderung auf, den mit den TUEs verbundenen Ressourcenaufwand einzuschränken, um sich voll den problematischen Substanzen zu widmen, d. h. solchen, die erwiesenermaßen zu Gesundheitsschäden führen, wie beispielsweise Anabolika.26 Hier besteht dringender Forschungsbedarf, wie die wissenschaftlichen Resultate überhaupt juristisch handhabbar gemacht werden können, während umgekehrt der pharmakologischen bzw. medizinischen Forschung weitere Kriterien bereitgestellt werden müssen, nach denen die möglichen Anwendungskontexte für Wirkstoffe genauer differenziert und beurteilt werden können.27

Wissenschaftstheoretischer Ausblick

Die Analyse der naturwissenschaftlichen Aspekte der offiziellen Dopingdefinition verweist in wissenschaftstheoretischer (bzw. methodologischer) Perspektive auf die Unzureichendheit der gängigen Kategorien von Gesundheit und Leistungssteigerung. Eine tragfähige Definition des Dopings unterliegt dabei »the Conclusion, we need to see the human person in more than therapeutic terms«28. Der Titel ‚Beyond Therapy‘ verweist auf ein Untersuchungsfeld, das nicht mehr der gängigen Dichotomie gesund-krank unterliegt bzw. sich an der Medizin und dem Heilungsparadigma orientiert, sondern »more in relation to human beings and their purposes«29 steht. Die Dopingdiskussion zeigt, dass sich diese Verschiebung nicht erst mit dem Aufkommen besonders fortschrittlicher Biotechnologie ergibt, sondern der immanenten Entwicklungslogik eines Systems folgt, das die grundlegenden Bedürfnisse des Menschen auf Gesunderhaltung bei gleichzeitiger Leistungsmaximierung ausrichtet. Solch eine Entwicklungslogik impliziert Doping als »normale[n] Unfall«30, der letztlich in wissenschaftstheoretischer Perspektive dadurch bedingt ist, dass einerseits Kriterien für ein Dopingvergehen, die auch nachprüfbar sind, aufgestellt werden. Andererseits aber sind diese Kriterien, wie die Ambivalenz von Therapie und Leistung zeigt, mit Blick auf die konkrete lebensweltliche Sportpraxis derart unterbestimmt, dass dopingaffines Verhalten dennoch möglich und praktikabel bleibt. Insofern stabilisiert diese ambivalente Dopingpolitik das Sportsystem, weil sowohl die ideologischen Interessen am Sportsgeist bzw. an einem ‚sauberen Sport‘ bewahrt werden, während Sportler zeitgleich auf das ergogene Arsenal der Sportmedizin zurückgreifen können. Die pharmazeutische und sportmedizinische Expertise übt dabei eine sicherlich fragwürdige kompensatorische Funktion aus, indem juristisch strittige Fälle dorthin ausgelagert werden.

Das von Bette und Schimank zur Dopingbekämpfung geforderte Konstellationsmanagement würde im pharmazeutischen Kontext nicht nur die Entwicklung »justitiable[r] Nachweisverfahren für bislang noch nicht nachweisbare Dopingmittel«31, sondern (auch mit Blick auf die umfassendere Enhancementdebatte) die Entwicklung pharmazeutischer bzw. medizinischer Kategorien implizieren, um mit dem nicht nur therapeutischen, sondern eben auch leistungssteigernden Potential entsprechender Präparate sowie mit den daraus hervorgehenden sportmedizinischen Ansprüchen, Wünschen und den daraus entstehenden juristischen Bedarfslagen umgehen zu können. Eine solche grundlegende Analyse würde überhaupt erst tragfähige Begriffe bereitstellen, um eine therapeutische von einer ergogenen Intervention sowohl dem wissenschaftlichen Kenntnisstand als auch der juridischen Umsetzbarkeit nach unterscheiden zu können.32

 

1 Steinacker, J.: »Die Zukunft der Sportmedizin.« In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 1/2008, S. 3-4, hier: S. 3.

2 Ebd.

3 Donike, M.: »Doping oder das Pharmakon im Sport.« In: Zentrale Themen der Sportmedizin. (Hg.) Hollmann, W., Berlin u.a. 31986, S. 400-415, hier S. 400.

4 Ebd.

5 Vgl. dazu Bette, Karl-Heinrich und Schimank, Uwe: »Doping. Der entfesselte Leistungssport.« In: ApuZ 29-30/2008, S. 24-31, hier: S. 31.

6 Donike 1986, S. 403.

7 Ebd.

8 Bette/Schimank 2008, S. 25.

9 Wiesing, U. – Striegel, H.: »Ärztliches Verhalten bei Doping.« In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 3/2009, S. 60-65, hier S. 61. Auch die durch Steinacker benannte »Patientenorientiertheit« (ders.: »Am Wohl der Patienten entscheidet sich die Sportmedizin.« In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 1/2001, S. 5) greift im Falle des Sportlers nur noch bedingt.

10 Vgl. WADA-Code Art. 4.2.2. und Feiden, Karl – Blasius, Helga (Hg.), Doping im Sport. Wer – Womit – Warum. Stuttgart 2008, S. 27.

11 Die WADA legt ihren Richtlinien einen solchen Normalzustand zugrunde, wie der Verweis auf einen »state of normal health« (World-Anti-Doping-Agency (Hg.): International Standard for Therapeutic Use Exemptions. Montreal 2008 (gültig ab 1.1.2009), S. 13 [abgekürzt: TUE-Standard]) zeigt.

12 U.S. President's Council on Bioethics, Beyond Therapy. Biotechnology and the Pursuit of Happiness. Washington 2003, S. 14.

13 Vgl. dazu Dickhuth, H.-H., Mayer, F., Röcker, K. – Berg, A. (Hg.): Sportmedizin für Ärzte. Lehrbuch auf Grundlage des Weiterbildungssystems der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP). Köln 2007.

14 Vgl. zu diesem Punkt die Diskussion um Schwimmanzüge, denen ein nicht unwesentlicher Beitrag zu neuen Rekordzeiten zugeschrieben wird. Greift hier das Dopingverbot? Die leistungssteigernde Wirkung ist bereits festgestellt, eine Gesundheitsschädigung liegt nicht vor, aber wird der Sportsgeist bewahrt?

15 Vgl. U.S. President's Council on Bioethics 2003, S. 108-111.

16 Vgl. dazu beispielsweise Berendonk, Brigitte: Doping Dokumente. Von der Forschung zum Betrug. Berlin u.a. 1991.

17 In der Untersuchung des Zusammenhangs von sportmedizinischer Intervention und sportlichem Erfolg weisen auch Emrich u.a. auf die beiden »nicht immer konfliktfrei zu lösen[den]« (Emrich E., Fröhlich M., Güllich A., Klein M.: »Vielseitigkeit, verletzungsbedingte Diskontinuitäten, Betreuung und sportlicher Erfolg im Nachwuchsleistungs- und Spitzensport.« In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 9/2004, S. 237-242, hier: S. 241) Aufgabenbereiche des Sportmediziners hin: Der auf das direkt auf das weitere Training bezogenen und insofern kurzfristigen Leistungswiederherstellung steht die langfristige Bewahrung der Gesundheit des Sportlers auch über dessen sportliche Karriere hinaus entgegen.

18 Vgl. hierzu Großekathöfer, M.: »Blutspuren.« In: DER SPIEGEL 29/2009, S. 104.

19 Dickhuth u.a. 2007, S. 520.

20 Striegel H. – Vollkommer G.: »Die Legitimation von Dopingsanktionen. Eine kritische Stellungnahme am Beispiel von Medikamenten zur Asthmatherapie.« In: SpuRt 11 (2004), S. 236-240, hier S. 236.

21 Ebd., S. 237.

22 Vgl. dazu ebd., S. 236 und 238.

23 Ebd., S. 238.

24 Striegel und Vollkommer verweisen in diesem Zusammenhang noch auf ein weiteres Problem, nämlich dass das Kriterium der Gesundheitsschädlichkeit insofern problematisch ist, als dass »die überwiegende Zahl von pharmakologischen Substanzen bei entsprechend hoher Dosierung gesundheitsschädliche Wirkungen haben können.« (Ebd., Anm. 53, S. 239)

25 Ebd., S. 239.

26 Vgl. dazu Kindermann, W.: »Dopingproblematik und aktuelle Dopingliste.« In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 4/2004, S. 90-95, der für eine Ausdifferenzierung der Wirkstoffe plädiert. U.a. sollten Cannabinoide in einem separaten Sanktionskatalog aufgeführt werden (vgl. S. 94). Steinacker und Kindermann fordern insgesamt eine Optimierung des Dopingsystems (vgl. dies.: »Unser Anti-Dopingsystem muss einfacher und besser werden!« In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 6/2007, S. 151-152), vor allem auch hinsichtlich der Transparenz in die Arbeit der WADA-akkreditierten Labore sowie des Umgangs mit Proben.

27 Williams teilt die gängigen Wirkungsspektra ein nach therapeutischen, leistungssteigernden und der Erholung dienenden Mitteln, vgl. Williams, Melvin H.: »Health-related Issues: Use of Drugs and Exercise.« In: The Clinical Pharmacology of Sport and Exercise. (Hg.) Reilly, T. – Orme, M., Amsterdam 1997, S. 39-46, hier S. 43.

28 U.S. President's Council on Bioethics 2003, S. xvii.

29 Ebd., S. 13, Anmerkung.

30 Bette/Schimank 2008, S. 25.

31 Ebd., S. 28.

32 Weiterführend ist hier auf die sowohl wissenschaftstheoretisch als auch ethisch fundierte Arbeit von Lenk hinzuweisen, der vor dem Hintergrund der Enhancementdebatte eine differenzierende Analyse des Gesundheits- und Krankheitsbegriffes entwickelt, die als Grundlage für eine der medizinischen Praxis angemessenere Unterscheidung von Therapie und Leistungssteigerung unerlässlich ist (Lenk, Christian: Therapie und Enhancement. Ziele und Grenzen der modernen Medizin. Münster 2002).