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Moral und Recht – Dopingdefinitionen

Die Sportverbände blicken auf eine ganze Reihe von Versuchen zurück, Doping zu definieren.1 Dabei herrscht offenkundig das Bedürfnis vor, unnatürliche Leistungssteigerungen aus dem Sport auszuschließen. So heißt es im Jahre 1952 beim Deutschen Sportbund: »Die Einnahme eines jeden Medikaments – ob es wirksam ist oder nicht – mit der Absicht der Leistungssteigerung während des Wettkampfes ist als Doping zu bezeichnen.«2 Im historischen Umfeld dieser Formulierung liegen Beobachtungen, dass die Entwicklung neuer pharmazeutischer Präparate in immer stärkerem Maße bei sportlichen Wettkämpfen genutzt wurde. Insbesondere die anabolen Steroide begannen in den fünfziger Jahren Karriere zu machen. Dabei war zunächst gar nicht klar, ob leistungssteigernde Präparate im professionellen Leistungssport nicht sogar erwünscht sein könnten. Denn diese Medikamente versprachen ja genau das, was das Ziel eines professionellen Athleten sein sollte, nämlich die Steigerung der Leistung. In nicht unerheblichem Maße hat sicherlich das Wettrüsten der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion dazu beigetragen, dass auch auf der Ebene des Sports eine Aufrüstung stattgefunden hat. Schließlich waren die Olympischen Spiele auch in der Nachkriegszeit prestigeträchtige Unternehmen. Rückblickend scheint es zugleich die Sorge um die Gesundheit der Athleten gewesen zu sein, die eine Eindämmung pharmazeutischer Praktiken zur Leistungssteigerung erforderlich gemacht hat.

Die Definition des Deutschen Sportbundes aus dem Jahre 1952 offenbart ein Manko aller Dopingdefinitionen, denn der Begriff Leistungssteigerung bleibt unterbestimmt. Damit leistet die Definition offenkundig nicht das, was sie leisten soll: nämlich eine mehr oder minder präzise Begriffsbestimmung. Leistungs­steigerung ist zugleich Zweck des Trainings und des Wettkampfes, Leistungssteigerung durch Medikamente zugleich das Ziel des Verbots. Die Definition von 1952 musste in dem Maße wirkungslos werden, wie die Medikalisierung des Sports in den fünfziger und sechziger Jahren voranschritt. Mit dem Anwachsen der Apotheke, mit der Vielzahl der Präparate und der Unüberschaubarkeit ihrer Wirkungen verliert der Begriff Leistungssteigerung allerdings seine juristische Praktikabilität.

Es verwischen sich nämlich die Grenzen, vor allem in der Bewertung der Wirkungsweisen der verschiedenen Medikamente und Substanzen. Das beste Beispiel aus heutiger Sicht dürfte hier das Cortison sein bzw. die Klasse der Kortikoide, einer Gruppe von vier künstlichen Derivaten, die bereits seit den sechziger Jahren zur Leistungssteigerung im Sport benutzt werden. Seit den achtziger Jahren ergibt sich hier für das Doping ein sehr ambivalentes, aber charakteristisches Feld, bei dem die Intentionen der Sportler, nämlich die Steigerung der Leistungsfähigkeit, die Indikationen der Ärzte und der Kampf gegen Doping mit dem Ziel, Folgeschäden für die Sportler zu verhindern, in ein komplexes Wechselverhältnis treten. Dazu muss man wissen, dass die Kortikoide einen ganzen Zoo unterschiedlicher Medikamente in unterschiedlichsten Darreichungsformen mit unterschiedlichsten Anwendungsgebieten bilden. Dazu gehören Salben, Injektionen, Sprays, aber auch Augentropfen. Damit ist die Klasse der Kortikoide eine vielseitig anwendbare Arzneistoffgruppe. Einen massiven Konfliktfall stellen vor allem Indikationen im Bereich der Atemwegserkrankungen da. Seit den Olympischen Winterspielen in Lillehammer 1994 ist bekannt, dass der überwiegende Anteil der Athleten unter Atemwegserkrankungen leidet, insbesondere unter Asthma und Allergien. Diese Indikationen, bronchiale, chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen (COPD) oder interstitielle Lungenerkrankungen, lassen eine Behandlung mit Kortikoiden zu. Das sind insgesamt schwerwiegende Erkrankungen, und es erscheint unglaubwürdig, dass vor allem Lei­stungs­sportler unter diesen Erkrankungen leiden sollten. Auch der Verweis auf die Luftverschmutzung, die vor allem jenen Sportlern zu schaffen machen soll, die vorwiegend im Freien ihren Sport ausüben, kann letztlich nicht schlüssig erklären, warum vermeintlich schwerkranke Personen Leistungssport betreiben. Beliebt sind die Kortikoide indes vor allem bei Ausdauerathleten, denn sie sind entzündungshemmend und dämpfen den Schmerz. Außerdem ist ihre Wirkung als Wachmacher bekannt: Kortikoide wirken euphorisierend. Freilich hat Cortison zahlreiche Nebenwirkungen, dazu gehören im schlimmsten Fall Muskel- und Knochenschwund und auch Diabetes.

Bei den Kortikoiden tut sich also insgesamt ein ganzes Feld unterschiedlichster Indikationen auf, das sich nach dem Muster eines Verbots künstlicher Leistungssteigerung nicht mehr strukturieren lässt. Die Dopingdefinition von 1952 konnte mit dieser pharmakologischen Entwicklung bereits von ihrem Ansatz her nicht mehr im Einklang stehen, denn die vielfältigen, ambivalenten Wirkungsweisen der Medikamente ließen sich nicht mehr auf die einfache Dichotomie: leistungssteigernd, ja oder nein, reduzieren. Abgesehen von der Tatsache, dass nicht nur Medikamente leistungssteigernd sein können, sondern auch andere Praktiken und Techniken, die heute unter das Dopingverdikt fallen, ist allein die Vielfalt pharmazeutischer Präparate, die einem Athleten heute zur Verfügung stehen, ein ausreichender Grund, die Dopingdefinition von 1952 für unzureichend zu erklären.

Die Doping-Definition des Europarats aus dem Jahr 1963 bestimmt Doping dann als »die Verabreichung oder den Gebrauch körperfremder Substanzen in jeder Form und physiologischer Substanzen in abnormaler Form oder auf abnormalem Weg an gesunde Personen mit dem einzigen Ziel der künstlichen und unfairen Steigerung der Leistung im Wettkampf.«3 Diese Definition ist nicht nur deshalb überholt, weil sich heute, wie schon gesagt, die pharmakologischen Möglichkeiten des Dopings extrem vermehrt haben. Vielmehr potenziert diese Definition zugleich die inhaltlichen normativen Probleme.

Zuerst ist dabei an das Thema Gesundheit zu denken. In ideologischer Hinsicht scheinen Sport und Gesundheit auf vielfache Weise miteinander verquickt zu sein. In den ideologisch gefärbten Programmen zur ›Volksgesundheit‹ steht nicht ohne Grund stets der Sport mit an erster Stelle. Tatsächlich reflektieren die frühen Dopingdefinitionen gerade auch diesen Punkt: Sport soll ein wichtiger Beitrag zur Gesundheit sein, Dopingpraktiken sind aber ungesund; sie verzerren nicht nur den Wettbewerb, sondern sie schaden dem Organismus des Sportlers, der Dopingmittel zu sich nimmt. Diese Dichotomie, gesunder Sport auf der einen Seite, ungesunde Dopingpraktiken auf der anderen, muss in dem Maße fraglich werden, indem die Professionalisierung des Hochleistungssports selbst ungesunde Praktiken hervorbringt. Darüber hinaus ergeben sich große konzeptionelle Schwierigkeiten mit dem Gesundheitsbegriff. Verkürzt gesagt: Wir wissen mehr oder weniger gut, was Krankheiten sind, aber positiv zu bestimmen, was Gesundheit ist, gelingt uns kaum.4 Ein unklar bestimmter Gesundheitsbegriff kann daher auch keine Grundlage bilden, um ein Dopingverbot zu legitimieren.

Ferner gibt die Formulierung »physiologische Substanz« zu denken. Offenkundig steht es im Jahr 1963 noch nicht zur Debatte, dass es einmal möglich sein würde, mit körpereigenen Substanzen zu dopen. Der Ausdruck »physiologische Substanzen« orientiert sich vielmehr an einem Gegensatz von natürlich, das heißt physiologisch, und künstlich, das heißt pharmazeutisch-chemisch. Darauf deutet auch der Schluss der Definition hin, in der von »künstlicher« Leistungssteigerung die Rede ist. Der Unterschied von ›künstlich‹ und ›natürlich‹, von Kunst im Sinne von Artefakt, Künstlichkeit als von Menschen gemachter Wirklichkeit und Natur im Sinne einer unberührten Natur oder einer ursprünglichen und authentischen Wahrheit des Menschen, seiner unverbrüchlichen Geschöpflichkeit, ist in der Moderne immer fraglicher geworden.

Dabei treffen zwei Argumentationsstränge aufeinander: ein christlich-religiöser und ein naturalistischer. Die christlich-religiöse Auffassung geht davon aus, dass die gesamte Natur und der Mensch in ihr von Gott geschaffen sind. Daher ist die Natur genauso wie die Natur des Menschen nicht epistemisch neutral und rein durch Wirkkausalität zu erklären, sondern sie ist durch Zwecke charakterisiert. Und die Natur ist gut, d. h. wertvoll, weil auch Gott, ihr Schöpfer, gut ist. In der Folge der Entwicklung säkularer Gesellschaften spielen diese Auffassungen eine immer geringere Rolle. Die Rede von einer authentischen Natur des Menschen wird nämlich in dem Maße fraglich, wie die christlich-religiöse Vorstellung von einer Geschöpflichkeit des Menschen, einer von Gott gewollten natürlichen Ausstattung des Menschen zurückgedrängt wird. Das bedeutet nicht, dass sich nicht Einzelne mit völligem Recht in ihrem Glauben auf religiöse Vorstellungen einer Schöpfung berufen könnten; es bedeutet nur, dass diese Vorstellungen im Prozess gesellschaftlicher Selbstverständigung nicht mehr als alleinige und tragende Argumentationsgrundlage dienen können.

Aber auch naturalistische Argumentationsstränge können sich nicht mehr auf eine gleichsam vorgegebene Natur berufen. Zwar können wir den Menschen betrachten, insofern er ein biologisches Lebewesen ist. Insofern hat er viel gemeinsam mit der ihn umgebenden natürlichen Umwelt, insbesondere mit den Tieren. Aber ein solcher Reduktionismus ist unbefriedigend, weil er nicht erklären kann, wie das kulturelle Lebewesen, das der Mensch ebenfalls ist, in seiner Umwelt lebt und vor allem wie und zu welchen Zwecken er seine Umwelt gestaltet. Alle Versuche, die Kultur des Menschen allein aus seiner biologischen Ausstattung zu erklären, dürften als gescheitert gelten. Tatsächlich ist der Mensch ein biologisches Lebewesen und darin den Tieren gleich, darüber hinaus lebt er aber auch eine kulturelle Existenz, die seine Lebenswelt in einem Umfang gestaltet und verändert, wie es für Tiere nicht möglich ist. Ferner ist das, was wir unter Natur verstehen, selbst ein Bereich, den der Mensch als solchen bestimmt hat. Selbst in der Formulierung von der »unberührten Natur« schwingt die schöpferische Potenz des Menschen mit. Unberührt ist diese Natur, weil sich der Mensch von ihr fernhält. Sie ist unberührt und dadurch negativ bestimmt, bestimmt von der Absicht des Menschen, dieses Stück Natur nicht zu besetzen. Rein faktisch bedeutet dies, dass es kaum noch »unberührte Natur« gibt. Letztlich hat der Mensch die ganze Natur erobert, auch diejenigen Bereiche der Natur, die er freilässt, kontrolliert und beherrscht er. Er zäunt die »unberührte Natur« ein. Mehr noch als die natürliche Umwelt betrifft das den Menschen selbst, insofern er Natur ist. In diesem Sinne ist eine naturalistische Auffassung zumindest durch eine kulturalistische Auffassung der Natur zu ergänzen, wenn nicht sogar durch sie zu korrigieren.

Die Frage: Kunst oder Natur betrifft schließlich auch unsere Interpretation dessen, wie wir uns selbst als Menschen bestimmen, was wir als unsere Natur festsetzen. Aus einem Rückblick auf die Geschichte der modernen Wissenschaften ließe sich plakativ folgern, dass diese Geschichte zugleich ein Weg der Selbsterkenntnis des Menschen ist – dies gerade nicht nur als kulturelles, sondern auch als biologisches Lebewesen.5 Selbsterkenntnis ist daher nicht nur ein in der Philosophie grundlegender Imperativ, »Erkenne dich selbst!«, sondern ebenfalls eine für die Humanwissenschaften grundlegende Praxis. Der Mensch entdeckt den eigenen Körper, vermisst und kartiert ihn mit dem Ziel, letztlich dessen Funktionsweise zu entschlüsseln. Die Erforschung des Genoms ist dabei sicherlich nicht der letzte Schritt, sondern nur ein wichtiger Meilenstein. Im selben Zug, wie die Erkenntnis und Erforschung des Menschen voranschreiten, ergeben sich die Möglichkeiten seiner körperlichen Manipulation. Diese Art der Manipulation ist zunächst ganz neutral zu verstehen, denn darunter fallen alle ärztlichen Praktiken, die die Heilung oder Gesunderhaltung des Menschen zum Ziel haben. Die Folge dieser Entwicklung besteht in der Ununterscheidbarkeit von Natur und Artefakt beim Menschen. Je mehr der Mensch seine Umwelt technisch beherrscht, umso weniger lässt sich der Unterschied zwischen »künstlich« und »natürlich« aufrechterhalten. Es ist die Natur des Menschen, sich die Welt durch Techniken und Praktiken anzueignen; es ist seine natürliche Künstlichkeit6 oder seine künstliche Natur.

Diese Vermischung oder Ununterscheidbarkeit von Natur und Kunst in Bezug auf den Menschen bleibt auch nicht ohne Folgen für den Sport. Im Jahr 1963 war es offenkundig noch möglich, unbefangen von der Natur des Menschen zu sprechen. Dabei musste auch damals schon auffallen, dass gerade der Sport die Grenzen der Natürlichkeit des Menschen längst gesprengt hatte. Denn die beginnende Professionalisierung erzeugte bereits den Druck zu exorbitantem Training, um nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern auch die Hochleistungsfähigkeit der Athleten zu bewirken und zu erhalten. Die Jagd nach Rekorden, nach der Überwindung als natürlich erachteter Grenzen, gelingt nur durch besondere Trainingsmethoden. Dabei wird klar, dass auch das Training eine besondere Technik ist. Gerade das Training dürfte daher die Grenze zwischen der Natürlichkeit des Menschen und der Künstlichkeit seiner durch ihn erzeugten Lebenswelt aufheben. Im Sport selbst wird die Grenze von Natur und Technik, von »natürlich« und »künstlich« verwischt und letztlich unkenntlich. Gerade im Sport lassen sich also die beiden Bereiche nicht mehr voneinander trennen.7 Der Sport selbst treibt die Unterwanderung der Trennung von Natur und Technik stetig voran. Kommt diese Entwicklung zu Bewusstsein, wird sie umgehend eingegrenzt, weil die Trennung von Natur und Kultur für diese Auffassung vom Sport konstitutiv zu sein scheint. Die Doping-Definition von 1963 reflektiert genau diese Entwicklung, indem einerseits die Unterscheidung natürlich-künstlich aufrechterhalten wird; andererseits ist diese Definition mit ihrem Aussprechen schon ungültig, denn die Erzeugung von Leistungssteigerung ist nur noch durch den Einsatz technischer Trainingsmethoden möglich. Damit präsentiert diese Dopingdefinition die Aporie in ihrer ganzen Breite: ›Natur‹ und ›Kunst‹ sollen unterschieden werden, faktisch ist diese Unterscheidung aber gerade und vor allem durch die forcierte Sportpraxis in ihrer Legitimation unterminiert.

Darüber hinaus lässt sich an dieser Definition unschwer ablesen, dass mit dem Unterschied Natur/Kunst nicht nur eine theoretische Differenz markiert wird. Der Begriff »Natur« ist positiv besetzt. Die »natürliche« Ausübung des Sports ist gut. Hierbei handelt es sich um eine Bewertung, die keinesfalls selbstverständlich ist. In anderen Kulturen und auch in unserer Kultur, wenn man in die Vergangenheit blickt, wird die Natur keinesfalls durchgängig positiv bewertet. Ohne hier in Details zu gehen, lässt sich grob formulieren, dass sich diese Hochschätzung der Natur erst mit und nach der Renaissance finden lässt, in einer Zeit also, in der sich im Westen nach und nach durch Verstädterung und Verbürgerlichung ein normatives Verständnis der Natur durchsetzt. Die Natur ist dann nicht mehr der feindliche Ort, an dem es unwirtlich ist, der Wald, das Gebirge, die Wüste, sondern sie wird zur Landschaft, zu einem Raum, in dem der Mensch zu sich selbst kommt, sich selbst findet, sich selbst erkennt.8 In der Romantik etwa setzen sich Überlegungen durch, denen zufolge die Natur ein sich selbst nicht bewusstes Subjekt sei, das erst im Menschen zu sich selbst findet.9 Die Natur ist dann gerade nicht das Andere des Menschen, sondern seine ursprüngliche Geborgenheit, sein Quell und – in Übersteigerung des Faktischen – zugleich sein Ziel. Unter diesen Voraussetzungen kann die Natur als normativer Begriff aufgefasst werden, als ein positiver Wert, der letztlich eine Zielsetzung des menschlichen Lebens formuliert: mit der Natur in Einklang zu sein.

Ähnlich problematisch verhält es sich mit dem Begriff »Fairness«, der ebenfalls eine wichtige Rolle in der Dopingdefinition von 1963 spielte. Auch hierbei handelt es sich um einen normativen Terminus. Unstrittig ist, dass sich der Sportler fair verhalten soll. Strittig ist allein, was Fairness im Einzelfall bedeutet. Ein analoger Fall findet sich beim Thema Gerechtigkeit. Auch hier ist klar, dass Gerechtigkeit einen hohen, wenn nicht sogar einen für Gesellschaften absoluten Wert beschreibt. Die Schwierigkeiten beginnen erst dann, wenn faktische Konflikte vorliegen, bei denen beide oder mehrere Parteien jeweils auf Gerechtigkeit pochen. Für den Begriff der »Fairness« bedeutet dies, dass zunächst festgelegt werden muss, was im Einzelnen fair ist. Gerade im Hinblick auf den modernen Sport und der in ihm sich ausdrückenden Interessen lässt sich von »Fairness« nicht ohne Rücksicht auf die differenzierte Wirklichkeit des Sports sprechen. Klar ist, dass »Fairness« mehr meint als die bloße Einhaltung der Regeln eines Spiels oder einer Sportart. Es verbirgt sich dahinter ein Appell an unausgesprochene Tugenden des Sportlers.10 Dies mag in einer geschlossenen, klar abgegrenzten und für sich bestehenden Sportsphäre sinnvoll sein, wie man sie etwa für den frühen Sport im viktorianischen England propagiert hat. Vollends unmöglich ist ein solcher Appell aber unter den Bedingungen eines Sportsystems, bei dem wirtschaftliche und politische Interessen die Oberhand gewinnen. Eine moralische Tugend wie »Fairness« verliert ihren Sinn, wenn die kulturelle und soziale Verbindlichkeit, die ihr anhaftet, verloren geht. Sie bleibt eine bloße Leerformel, die einen Inhalt repräsentiert, der nur noch in der Reminiszenz an eine vergangene, vermeintlich unschuldige Zeit des Sports erinnert.

3 Die Verrechtlichung der Dopingdefinitionen

Diese Überlegungen bedeuten natürlich nicht, dass Ethik oder Fairness im Sport keine Rolle spielen oder gar spielen sollten. Es ist damit nur gesagt, dass die Entwicklung des Sports in der modernen Gesellschaft einer differenzierteren Abspiegelung seiner ethischen Implikationen bedarf. Es ist sicher das Verdienst der Dopingdefinition von 1963 zumindest dieses Defizit aufzuzeigen. Der Begriff »Fairness« vertritt hier genau die Stelle, an der eine differenzierte ethische Betrachtung treten könnte. Allerdings hat die Entwicklung einen anderen Verlauf genommen. Es kommt nicht zu einer sportethischen Betrachtung des Dopings; vielmehr erzeugt die Professionalisierung des Sports eine Verrechtlichung und Formalisierung.

Dies zeigte sich bereits im Jahre 1967, als auf der Grundlage des Artikels 48 der Olympischen Charta der sogenannte »Medical Code des IOC« entwickelt wurde. Hier heißt es jetzt: »Doping besteht aus: 1. Der Verwendung von Substanzen aus den verbotenen pharmakologischen Wirkstoffgruppen und/
oder 2. der Anwendung verbotener Methoden.«11 Tanja Haug bewertet in ihrem Buch Doping. Dilemma des Leistungssports diese Entwicklung als Erfolgsgeschichte. Sie schreibt: »Erstmalig wurde Doping nicht mehr abstrakt, sondern als Summe von verbotenen Wirkstoffen und Methoden definiert.«12 Tatsächlich zeichnet sich mit dieser Definition eine Wende in der Diskussion über die Dopingdefinitionen ab. Offensichtlich ist, dass die noch 1963 im Vordergrund stehenden normativen Aspekte zu Gunsten einer rechtlichen Betrachtungsweise des Dopings eliminiert wurden. Das bedeutet zunächst zweierlei: (1) Die Frage nach der Definierbarkeit von Doping wird zu Gunsten einer juristisch-pragmatischen Lösung entschieden. Es ist nicht mehr die Frage, was Doping im Zusammenhang mit der ethischen Auffassung des Sports bedeutet, sondern ob sich eine Formel findet, durch die Doping im Zusammenhang anderer Rechtsnormen klassifiziert werden kann. An die Stelle einer ethisch-moralischen Definition tritt eine rechtliche. (2) Die Leerstellen, die die Definition von 1963 zumindest noch bezeichnete, werden hier durch eine rechtliche Formalisierung ausgefüllt. Einzig der Begriff des »Verbots« enthält noch Reste ethisch-moralischer Verpflichtung. Allerdings übernimmt diese Verpflichtung nicht mehr der einzelne Athlet – Stichwort »Fairness«, sondern eine objektive rechtliche Norm. Was verboten ist, bestimmen die einzelnen Verbände. »Mit dieser Definition läutete das IOC einen bedeutsamen Wandel in der Dopingbekämpfung ein, hatte es doch erkannt, dass eine abstrakte Definition des Dopings keine tragfähige Grundlage für die Bekämpfung bilden kann.«13 Diese Bewertung der Entwicklung stammt ebenfalls von Tanja Haug. Zentral für ihre Bewertung ist der Begriff der Abstraktheit. Tatsächlich ermöglicht diese neue Definition des IOC, dass nun Listen von verbotenen Substanzen und Methoden festgelegt werden können. Im Hinblick auf diese verbotenen Substanzen und Praktiken ist die Definition tatsächlich genau dann konkret, wenn diese Listen konsultiert werden. In einer anderen Hinsicht hingegen ist diese Dopingdefinition abstrakt, nämlich in Bezug auf die moralische Subjektivität des Athleten. Abstrakt bedeutet hier, dass abgesehen wird von der ethischen Bedeutung der diskriminierten Handlungen. Abstrakt bedeutet hier aber auch, dass die moralische Seite des Dopings vor seiner rechtlichen Bedeutung zurücktritt. In dieser Hinsicht ist die Einschätzung von Tanja Haug zu korrigieren: Die juristisch-technische Definition des Dopings führt zu einer Formalisierung und Objektivierung der Dopingdiskussion, die unberücksichtigt lässt, dass es beim Doping nicht nur um juristische Tatbestände geht, sondern um ethische Entscheidungen einzelner Personen.

Im Jahre 1999 versucht das IOC noch einmal, die subjektive Seite der ausübenden Sportler in einer Dopingdefinition zu berücksichtigen. Der Anti-Doping Code stellt in einem ersten Teil der Definition fest, dass »die Anwendung eines Mittels (Wirkstoff oder Methode), das potentiell schädlich für die Gesundheit von Sportler/Sportlerinnen ist und/oder der Leistung steigern kann«14 als Doping gilt. In diesem ersten Teil der Definition wird zum letzten Mal in einem offiziellen Definitionsversuch die Subjektivität des Sportlers zum Gegenstand gemacht: Natürlich genügt die Formulierung der Schädlichkeit für die Gesundheit von Sportlerinnen und Sportlern keineswegs den Ansprüchen, die an juristisch zu diskriminierende Handlungen angelegt werden müssen. Tatsächlich würden auch zahlreiche Trainingsmethoden, die im sportlichen Alltag gang und gäbe sind, unter dieses Verbot fallen, denn sie dienen nicht der Gesundheit der Sportler, sondern müssen als potentiell schädlich angesehen werden. Dazu reicht bereits ein Hinweis auf das leistungssportliche Gerätturnen bei Jugendlichen und auf zahlreiche andere einseitige Belastungen fördernde Sportarten, deren Körperschädigungen im Bereich des Hochleistungssports längst bekannt sind. Man denke etwa auch an den Fußball, dem Breitensport Nummer eins in Deutschland, bei dem die Langzeitschädigungen als Folge der Ausübung dieses Sports für Fuß- und Kniegelenke selbst im Amateurbereich nicht selten sind. Ferner ist auch an den Gebrauch von Nahrungsergänzungsmitteln zu denken, die ebenfalls leistungssteigernde Wirkung haben können.15

Unter dem Aspekt der juristischen Aufarbeitung von Dopingvergehen ist der Wunsch nach einer praktikablen, das heißt auf konkrete Fälle anwendbare Dopingdefinition durchaus verständlich. Konsequenterweise müssen dann aus der Dopingdefinition alle diejenigen Termini eliminiert werden, die missverständlich, ungenau und kontextabhängig sind. Es handelt sich dabei vor allem um Begriffe, die einem ethischen Kontext entspringen. Es geht konkret um die Begriffe »Natur«, »Fairness« und »Gesundheit«. Diese Begriffe haben gemeinsam, dass sie offenkundig einen normativen Gehalt haben. »Natur« ist gut, »Fairness« ist wünschenswert, »Gesundheit« ist ein hohes Gut. Weil diese Begriffe ethisch-normativ sind, sind sie zugleich abhängig von weiteren Normen und von einem Kontext, in dem sie gültig sind und dem sie ihre Gültigkeit verdanken. Ethische Begriffe, die zugleich einen empirischen Gehalt haben, sind zudem kulturvariant und gesellschaftsabhängig. In dieser Perspektive ist es falsch, ethische oder normative Begriffe als abstrakt zu bezeichnen, denn sie erhalten ihre Konkretion aus dem kulturellen und sozialen Kontext, indem sie einen klaren Sinn ergeben. Ihnen kommt daher nicht die notwendige Objektivität zu, um klar zwischen gewünschten und geächteten Praktiken im Sport zu diskriminieren.

Hier zeigt sich eine folgenschwere Tendenz: Um die Praktikabilität einer Definition in einem bestimmten Bereich des Sports, nämlich dem Hochleistungssport, zu erhöhen, werden die an das Subjekt gebundenen, kulturell varianten und Werthaltungen widerspiegelnden Normen nach und nach zurückgedrängt, bis eine normativ leere Formulierung übrig bleibt, die zwar die gegebene Sachverhalte und Tatbestände exakt aufschlüsselt, aber moralisch neutral bleibt. Am weitesten geht in diese Richtung die Dopingdefinition, die sich im World-Anti-Doping-Code findet, der von der World-Anti-Doping-Agentur (WADA) im Jahre 2003 vorgestellt wurde.16 Dieser Code ist inzwischen von allen internationalen Sportfachverbänden anerkannt worden, die sich damit zugleich verpflichtet haben, diese Bestimmungen in allen ihren nationalen Fachverbänden umzusetzen. Die Dopingdefinition befindet sich in Artikel 1 des Codes. Doping wird dort bestimmt als das Vorliegen einer oder mehrerer der in Artikel 2 festgelegten Verstöße gegen die Anti-Doping-Bestimmungen. Bereits in der Dopingdefinition des IOC aus dem Jahre 1967 zeigte sich, dass eine juristisch praktikable Bestimmung des Begriffs »Doping« nur durch eine Liste von Verboten zufriedenstellend erreicht werden kann. Dieses Verfahren wird nun systematisiert. So enthält die Liste der WADA verschiedene Klassen von verbotenen Substanzen, nämlich Stimulanzien, Narkotika, Anabolika, Diuretika, Peptid- und Glykoproteinhormone, die je nachdem entweder für Athleten immer, sowohl im als auch außerhalb des Wettkampfs verboten sind, und solchen, die nur während des Wettkampfs verboten sind. Außerdem führt die Liste einige Substanzen auf, die nur bei bestimmten Sportarten untersagt sind, wie etwa Alkohol und Betablocker. Darüber hinaus beschreibt die Liste verbotene Methoden, wie die Verbesserung des Sauerstofftransfers etwa durch Blutdoping, pharmakologische, chemische und physikalische Manipulationen, die beispielsweise mit dem Ziel durchgeführt werden, den Dopingnachweis in einer Urinprobe zu verschleiern, und neuerdings auch das Gendoping.

Die Dopingdefinition ergibt sich damit durch eine positive Liste. Diese Liste systematisiert und klassifiziert die verbotenen Substanzen und Methoden. Anders ausgedrückt: Doping ist durch eine möglichst exakte Bestimmung desjenigen Bereichs von Handlungen charakterisiert, die nicht erlaubt sind. Die positive Liste besteht insgesamt also aus negativen, d. h. ausschließenden Bestimmungen dessen, was im Sport erlaubt ist. Das ist unter philosophischer Perspektive äußerst interessant. Auf Spinoza etwa geht die Formulierung zurück, alles Bestimmen sei Negieren. Der Sache nach ist dieses Verfahren aber viel älter und lässt sich bis in die Antike zu Platon und Aristoteles zurückverfolgen. Mit diesem Theorem des apophatischen Bestimmens beschreibt die Philosophie eine Methode, bei der die Bestimmung einer Sache stets einhergeht mit der Negation dessen, was die Sache nicht ist: Bestimmen durch Absprechen. Bestimmen und Absprechen gehen immer Hand in Hand. Allerdings sind Bestimmen und Absprechen nicht bloß korrelativ und insofern komplementär, sondern sie besitzen ein unterschiedliches Gewicht. Das Problem besteht darin, dass durch das bloße Absprechen kein positiver Inhalt gesetzt wird. Für die vorliegende Situation bedeutet das: Durch die Bestimmung dessen, was Doping ist, kann keine positive moralische Bestimmung des Sports erreicht werden. Kant nennt solche Urteile, in denen bloß ein Prädikat negiert wird, unendliche Urteile, denn der durch das Prädikat bestimmte Gegenstand wird nur aus einem gewissen inhaltlichen Bereich ausgeschlossen, nicht aber in einen inhaltlich bestimmten Bereich gesetzt. Dadurch ist das Feld, das eine solche absprechende Bestimmung eröffnet, unendlich groß. Genau das passiert auch mit dem Doping in der Definition der WADA aus dem Jahr 2003: Doping wird nicht als geächtete Form einer positiv beschriebenen und bestimmten Praxis des Sports festgelegt, sondern einzig durch eine Liste von Verstößen charakterisiert. Nicht »Fairness«, »Gesundheit« oder die »Natur« als positive Prädikate des Sports sind der Dreh- und Angelpunkt der Dopingdefinition, sondern Verstöße gegen eine Verbots- bzw. Negativliste.

Die Folge davon kann man zunächst auf die einfache Formel bringen: Erlaubt ist, was nicht verboten ist. Tatsächlich löst diese Dopingdefinition keineswegs das grundlegende Problem, das mit dem Doping im Sport entstanden ist. Dies besteht nämlich im Anwachsen pharmazeutischer Substanzen und biotechnischer Methoden zur Leistungssteigerung. Der wissenschaftliche Fortschritt erzeugt dabei eine permanente Drucksituation, denn solange Substanzen und Methoden nicht auf der Dopingliste erscheinen, ist ihre Nutzung erlaubt. Während es auf der einen Seite ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen den Dopingfahndern und den Dopingsündern ist, das sich stets durch die Entwicklung neuer Nachweismethoden neu entscheidet, so gibt es auch im juristischen Bereich einen systematischen Verzug zwischen der Entwicklung neuer Substanzen, ihrer Aufnahme in die Dopingliste und der Entwicklung praktikabler, d. h. vor allem kostengünstiger und flexibler Nachweisverfahren. Durch die Dynamik der Entwicklung entstehen dabei Konstellationen, bei denen man intuitiv von Doping sprechen würde, aber der rechtliche Rahmen für eine Dopingverfolgung gar nicht gegeben ist. So hat man beispielsweise in konservierten Dopingproben von Radfahrern aus längst vergangenen Jahren Substanzen gefunden, die eindeutig darauf hinweisen, dass diese Sportler leistungssteigernde Substanzen eingenommen haben, die heute auf der Dopingliste stehen. Zum Zeitpunkt der Probenentnahme standen die Substanzen aber noch gar nicht auf der Dopingliste. Deshalb können die Sportler deswegen nicht belangt werden, und es wird deswegen auch rückwirkend keine Verbandsstrafe ausgesprochen. Genau genommen müsste man zu dem Schluss kommen, dass diese Form der Leistungssteigerung kein Doping darstellte, folglich auch nicht moralisch verwerflich war, denn es handelte sich nicht um eine derjenigen Substanzen oder Methoden, die damals als Doping definiert waren.

Dieses Phänomen ist nicht nur dem pharmazeutisch-biotechnischen Fortschritt17 geschuldet, sondern ist auch eine Folge der Form, in der Doping definiert wird, nämlich – positiv – durch eine ausschließende – negative – Verbotsliste. Die Konsequenzen sind vielschichtig. Entscheidend dürfte allerdings das Auseinandertreten von Recht und Moral sein. So ist völlig klar, dass die Einnahme pharmazeutischer Mittel zur Leistungssteigerung immer eine Veränderung der Wettbewerbssituation im Sport zur Folge hat und daher insofern, legt man wirklich dieses Kriterium zugrunde, als unfair bezeichnet werden kann. Ebenfalls ist klar, dass von den hochpotenten Mitteln eine Gefahr für den Sportler ausgehen kann, besonders dann, wenn in der Umgebung des Athleten keine oder nur eine unzureichende medizinische Betreuung besteht. Schließlich ist klar, dass die Einnahme von pharmakologischen Produkten in der Regel nicht dem ›natürlichen‹ Stoffwechsel des Menschen entspricht. Vom moralischen Standpunkt könnte man diese Form der Leistungssteigerung ablehnen, wenn man sich auf diejenigen moralischen Einstellungen bezieht, die dem Sport allgemein zugrunde gelegt werden und die implizit das Dopingverbot rechtfertigen.18 Allerdings wäre dazu eine positive Definition des Sports samt seiner moralischen normativen Implikationen notwendig. Diese Form der Leistungssteigerung wäre in diesem Fall auch dann ungerecht, wenn sie nicht explizit verboten ist. Es zeigt sich: Die verrechtlichte Dopingdefinition induziert ein Dilemma, das nicht nur durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt forciert wird, sondern das sich auch intern durch die Form der Dopingdefinition als rechtliche Grundlage der Verfolgung von Dopingvergehen ergibt.

Die Definition der WADA aus dem Jahr 2003 enthält noch ein anderes, für das Verhältnis von Recht und Moral relevantes Detail. So definiert der Artikel 1 den Begriff Doping als das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Anti-Doping-Bestimmungen. Als Verstöße gegen die Anti-Doping-Bestimmungen nennt der Anti-Doping-Code der WADA an erster Stelle: »Das Vorhandensein eines verbotenen Wirkstoffes, seiner Metaboliten oder Marker in den Körpergewebs- oder Körperflüssigkeitsproben eines Athleten.«19 Tatsächlich entspricht das unserer gängigen Vorstellung von der Überführung eines Dopingsünders. Einem Athleten werden Gewebs- oder Urinproben genommen, in denen man dann Wirkstoffe oder deren Zwischenprodukte im Stoffwechselprozess findet. Zunächst ist festzustellen, dass durch diesen Passus nicht nur eine Verrechtlichung des Dopings stattfindet, sondern gleichzeitig damit eine biologisch-pharmazeutische Aufladung des Sports einhergeht. Dadurch ist zunächst gar nicht darauf abgehoben, dass möglicherweise Persönlichkeitsrechte der Sportler beeinträchtigt sind, wenn sie für solche Probenentnahmen zur Verfügung stehen müssen. Dies ist ein gesondertes Problem, das an anderer Stelle behandelt werden wird.20 Es geht hier zunächst darum, dass im Diskurs über Doping nun in erster Linie über Grenz- und Schwellenwerte diskutiert wird. Die Dopingdefinition wird also nicht nur verrechtlicht, sondern mündet in eine Diskussion über zulässige Quantitäten von Substanzen in den Proben der Athleten.

Zugestandenermaßen ist diese Entwicklung eine Reaktion auf einen beschleunigten wissenschaftlichen Fortschritt. Offensichtlich hat diese Entwicklung auch ihren guten Sinn im Zusammenhang mit der Unterbindung von Dopingpraktiken. Allerdings ist damit die Frage noch nicht beantwortet, inwieweit diese Entwicklung sinnvoll und ob sie überhaupt praktikabel ist. Allein die Festsetzung von Schwellenwerten bezieht sich auf eine hochkomplexe, empirisch gesättigte Forschungslandschaft. Schwellenwerte sind aber kein Naturbestand, der sich einfach empirisch vorfinden ließe. Schwellenwerte sind vielmehr ein Konstrukt der medizinischen Forschung, notwendig, um Kriterien in der Hand zu haben, die therapeutische Entscheidung ermöglichen, keinesfalls aber durch eine ›natürliche‹ Disposition gegeben, die unveränderlich feststünde. Bei den ›Schwellenwerten‹ handelt es sich um hochgradig abstraktive und konstruierte Standardisierungen, deren wissenschaftstheoretische Bedeutung und Legitimation stark umstritten ist.

1 Vgl. zum Folgenden: Prokop, Clemens: Die Grenzen der Dopingverbote. Baden-Baden 2000.

2 Zitiert nach: Haug, Tanja: Doping, S. 28.

3 Zitiert nach: Haug, Tanja: Doping, S. 28.

4 Vgl. die Gesundheitsdefinition der WHO, die letztlich unbestimmt bleibt: »Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.« (Constitution of the World Health Organisation [1946]) – Vgl. die instruktive Arbeit: Spijk, Piet van: Definitionen und Beschreibungen der Gesundheit. Ein medizinhistorischer Überblick. (Schriftenreihe der SGGP; No. 22) Muri, Schweiz 1991; 21994. Ferner: Gadamer, Hans-Georg: Über die Verborgenheit der Gesundheit. Aufsätze und Vorträge. Frankfurt a. M. 82003.

5 Vgl. Asmuth, Christoph: »Authentizität und Konstruktion. Körperbegriffe zwischen historischer Relativität und unmittelbarer Gegenwärtigkeit.« In: Das Harte und das Weiche. Körper – Erfahrung – Konstruktion. (Hg.) Stache, Antje. Bielefeld 2006, S. 119-142.

6 Vgl. Plessner, Helmuth: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie. Frankfurt a. M. 1981, S. 383-396.

7 Vgl. zum Thema: Ränsch-Trill, Barbara: Natürlichkeit und Künstlichkeit. Philosophische Diskussionsgrundlagen zum Problem der Körper-Inszenierung. Tagung der dvs-Sektion Sportphilosophie vom 12.-13.11.1998 in Köln. (Schriften der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft; 110) Hamburg 2000.

8 Vgl. etwa: Was ist eine Wüste? Interdisziplinäre Annäherungen an einen interkulturellen Topos. (Hg.) Lindemann, Uwe. Würzburg 2000.

9 Vgl. Asmuth, Christoph: »Natur als Objekt – Natur als Subjekt. Der Wandel des Naturbegriffs bei Fichte und Schelling«, in: Neuzeitliches Denken. Festschrift für Hans Poser zum 65. Geburtstag. (Hg.) Abel, Günter – Engfer, Hans-Jürgen – Hubig, Christoph. Berlin/New York 2002, S. 305-321.

10 Vgl. die differenzierten Sichtweisen auf das zugrundeliegende Problem bei: Pawlenka, Claudia (Hg.): Sportethik. Regeln - Fairneß – Doping. Paderborn 2004.

11 Zitiert nach Haug, Tanja: Doping, S. 28f.

12 Haug, Tanja: Doping, S. 28.

13 Ebd., S. 29.

14 Zitiert nach: Haug, Tanja, Doping, S. 31.

15 Vgl.: Haug, Tanja: Doping, S. 32.

16 Der World Anti-Doping Code (WADC) wird hier zitiert nach: Haas, Ulrich – Haug, Tanja – Reschke, Eike (Hg.): Handbuch des Sportrechts. Loseblattsammlung. Neuwied 2006, Teil C, IV, 2. –

17 In wissenschaftstheoretischer Perspektive muss die Rede von »wissenschaftlichem Fortschritt« ohnehin relativiert und kritisch depotenziert werden, sobald man nach dem Maßstab und dem Kriterium des Fortschritts fragt. Vgl. dazu: Poser Hans: Wissenschaftstheorie. Eine Einführung. Stuttgart 2001, S. 135-207.

18 An anderer Stelle wird zu prüfen sein, inwieweit diese moralischen Normen und Werte tatsächlich eine tragfähige Grundlage des normativen Handelns im Sport sein können. Ohne weiteren Untersuchungen vorgreifen zu wollen, zeichnet sich bereits hier ab, dass Werte wie »Fairness«, »Gesundheit« und »Natürlichkeit« allein keine befriedigende Grundlage für eine moralische oder ethische Bewertung sportlichen Handelns bieten können bzw. dass sich aus ihnen gar handlungsleitende Normen ableiten lassen.

19 World Anti-Doping Code (WADC), s. a. a. O.

20 Vgl. Figura, Lars: Doping. Zwischen Freiheitsrecht und notwendigem Verbot. (Sportforum; 20), Aachen 2009, insb. S. 28 ff.