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Glaubwürdigkeit und Authentizität – ein Problem des Dopings?

Sport ist nur im weitesten Sinne ein intellektuelles Vergnügen. In der Regel geht es um Schweiß und Blut. Diese Nähe zum menschlichen Körper und seinen Vollzügen suggeriert, dass der Sport in besonderer Weise authentisch und damit menschlich sei. Diese Beobachtung korrespondiert mit einem Jugend- und Körperkult, der die menschliche Leiblichkeit aufwertet. Zugleich ist der Sport allerdings ein Massenphänomen, das sich gerade nicht in einer privaten Sphäre abspielt, sondern, als Hochleistungssport, stets mit Publikum und medialer Präsentation verbunden ist. Das betrifft nicht nur die Ereignisse in den großen Arenen, sondern interessanterweise auch die Blut- und Testwerte der Athleten, die ungeniert in Internet, Radio und Fernsehen verbreitet werden. Der Sport zerfällt dabei offenkundig in zwei selbständige, allerdings systemisch aufeinanderbezogene Sphären: dem Bereich der ausübenden Athleten und dem der Sportkonsumenten. Die Verbindung beider Bereiche besteht in ökonomischen Interessen, die vornehmlich durch die Werbeindustrie angeheizt werden.

Dass ein Sportler mit seinem Sport Geld verdient, gelingt ihm nur, wenn mit seinem Sport Medieninteresse erzeugt werden kann. Umgekehrt ist es für die Medien von größter Wichtigkeit, authentisches Geschehen zu inszenieren. Dabei kann sich der Sportkonsument dem circensischen Charakter nicht entziehen. Von dieser Seite her betrachtet, ist die intendierte Authentizität und Glaubwürdigkeit von vornherein unterlaufen. Die Distanz des Sportkonsumenten zum Geschehen, sei es im Stadion, in der Arena oder vor dem Fernseher, verhindert die authentische Partizipation am Wettkampf. In dieser fragilen Konstruktion wirkt sich das Doping verheerend aus. Der Sportkonsument bemerkt nicht nur, dass gegen die Regeln des Wettbewerbs verstoßen wird, sondern durchschaut die Inszenierung des Sportgeschehens selbst. Die befürchtete Folge ist der Totalverlust an Glaubwürdigkeit, der gerade für die Medienbetreiber und für die Werbebranche so wichtig ist. Hier kommt dem Doping, völlig wider willen, eine kritische Funktion zu, denn es macht – durch massive Störung –auf die systemischen Zusammenhänge einer professionellen Medienmaschine aufmerksam. In dialektischer Übersteigerung verleibt sich die Medienindustrie allerdings das Dopingdilemma gleich wieder ein: Sie unterhält den Kunden nicht mehr mit dem primären Sportereignis, sondern mit den Sekundärereignissen ihrer Dopingberichterstattung. Die Authentizität der körperlichen Bewegung ist im Sport also gebrochen. Das gilt insbesondere auch für den Breitensport, der immer stärker in das Visier der Sponsoren rückt.

Ferner ist dem Argument zu begegnen, dass die körperliche Bewegung eine antagonistische Stellung zur Intellektualität des Menschen einzuräumen sei. Helmut Plessner hat in seinem Buch Die Stufen des Organischen und der Mensch nachdrücklich darauf hingewiesen, dass sich gerade der Mensch durch eine exzentrische Positionalität auszeichnet. Die Möglichkeit, eine Person sein zu können, hängt nach Plessner gerade mit der Grundbedingung zusammen, dass für den Menschen »das Zentrum der Positionalität, auf dessen Distanz zum eigenen Leib die Möglichkeit einer Gegebenheit ruht, zu sich selbst Distanz hat.«1 Daraus folgt für Plessner, dass der Mensch keineswegs nur bloßer Vollzug, bloßes Aufgehen in seinen körperlich-geistigen Aktivitäten ist. Konstitutiv für ihn ist vielmehr die Doppelaspektivität, die Plessner als einen unaufhebbaren Bruch beschreibt und für ihn das Konstituens der Personalität ausmacht. Die Totalität des Menschen hängt deshalb an dem gebrochenen Selbstverhältnis, das den Menschen schon, so die Auffassung Plessners, als biologisches Wesen charakterisiert und als Menschen konstituiert. In systematischer Perspektive und unabhängig von anthropologischen Prädispositionen kann man diese Doppelaspektivität als transzendentalphilosophische Struktur von Selbstsein und Selbsthabe zu beschreiben, um das argumetative Potential für ›körperliche‹ und ›geistige‹ Prozesse aufschließbar zu machen.2

Das Problem der Glaubwürdigkeit stellt sich also nicht erst mit dem Sport, geschweige denn mit dem Doping, sondern es folgt aus dem Selbstverständnis des Menschen. Durch die Frage nach sich selbst rückt der Mensch aus der Verständlichkeit eines authentischen Selbstseins heraus. Ja, diese Differenz kann sogar als konstitutiv für den Menschen betrachtet werden.

Für das Dopingproblem ist bezüglich der Glaubwürdigkeit mindestens eine Ambivalenz festzustellen. Das Doping stört eine glatt funktionierende Kommerzialisierung und Medienverwertung des Sports. Aufklärung über Doping-Praktiken und den Medikamentenmissbrauch im Sport ist dadurch verbunden mit einer Kritik an der Kommerzalisierung. Die Verwertungskette der Sportereignisse bis hin zur Konsumhaltung des Endverbrauchers gelangen dadurch in den Fokus einer kritischen Reflexion. ›Abschalten‹ kann ein positives Signal sein zu einer praktischen Aufwertung des Sports. Authentizität und Glaubwürdigkeit müssen dabei als moralische Attribute gar nicht an erster Stelle stehen.

1 Plessner, Helmuth: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie. Frankfurt a. M. 1981, S. 361. – Vgl. zu Plessner: Schneidereit, Nele: »Der Körper der Person bei Plessner und Kant.« In: Das Harte und das Weiche. Körper – Erfahrung – Konstruktion. (Hg.) Stache. Antje. Bielefeld 2006, S. 43-59; Schürmann, Volker: »Sinn der Bewegung – Vorüberlegungen im Anschluss an Plessner.« In: Lämmer, Manfred – Nebelung, Tim (Hg.): Dimensionen der Ästhetik. Festschrift für Barbara Ränsch-Trill, St. Augustin 2005; ders.: »Vermittelte Unmittelbarkeit. Plessners taktvolles Spiel mit der menschlichen Würde.« In: Mitte. Philosophische, medientheoretische und ästhetische Konzepte. (Hg.) Röttgers, Kurt – Schmitz-Emans, Monika, Essen 2006, S. 34-46.

2 Asmuth, Christoph: »Selbsthabe und Selbstsein. Possessivität und Performanz des Körperlichen.« In: Bezüge des Selbst. (Hg.) Balsemão Pires, Edmundo – Nonnenmacher, Burkhard) Coimbra vorauss. 2010 (Preprint: http://www.christoph-asmuth.de/content/allgemein/
medien/
Selbsthabe_und_Selbstsein.pdf)