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Doping und Gesundheit

Doping und Gesundheit – eine Aporie

Allgemein gilt: Sport ist gesund. Aber jeder weiß: Exzessiver Sport kann zu Gesundheitsschäden führen. Bei manchen Formen des Ausdauersports wenden Ärzte sogar die Kategorie der Sucht an. Denn der Sportler scheint von der Ausübung seines Sports körperlich und geistig abhängig zu sein mit allen Folgen, die eine Sucht für das soziale Leben und die Gesundheit eines Betroffenen haben kann. Die Gesundheit ist aber zugleich ein zentrales Motiv des Anti-Doping-Kampfes.

Seit dem Beginn der Bemühungen, Anti-Doping-Regelungen zu formulieren und umzusetzen, spielt das Thema Gesundheit eine herausragende Rolle. Darin reflektieren sich tragische Ereignisse, bei denen Sportler durch die Einnahme von Medikamenten zu Tode gekommen sind. 1967 kollabierte der englische Radprofi Tom Simpson bei der Tour de France kurz vor dem Gipfel des Mont Ventoux und verstarb an der Rennstrecke. Eine Obduktion ergab, dass Simpson Amphetamine zu sich genommen und Alkohol getrunken hatte. Infolgedessen war er stark dehydriert, was als Konsequenz der außerordentlich hohen körperlichen Belastung den tödlichen Kollaps zur Folge hatte. Birgit Dressel, eine Siebenkampf-Leichtathletin starb 1987 an einem Multiorganversagen infolge eines Kreislaufschocks. Sie hatte in den 16 Monaten vor ihrem Tod 400 Spritzen mit verschiedensten Medikamenten erhalten. Sie nahm wahrscheinlich täglich ein Anabolikum in sehr hohen Dosen ein und erhielt 20 verschiedene Medikamente von drei Ärzten. Die einleuchtende Konsequenz der Sportverbände bestand darin, Besitz, Verbreitung und Einnahme von derartigen Präparaten strikt zu verbieten. Allerdings bewegten sich die Sportverbände damit in eine aporetische Situation: Sie verknüpften die Ächtung des Dopings mit einem positiven Wert von Gesundheit. Die Gesundheit nimmt dadurch eine sehr hohe Stelle, wenn nicht sogar die höchste Stelle ein in der Auffassung davon, was für eine Funktion der Sport erfüllen soll und welcher Wert durch das Doping bedroht ist.1 Doping soll verboten werden, weil es einem zentralen Wert des Sports widerspricht, der Gesundheit.

Zunächst zeigte sich schnell, dass es schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist, positiv zu bestimmen, was genau gesund ist. Die Gesundheitsdefinition der WHO bezeichnet Gesundheit als einen »Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.« (»Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity«.) Abgesehen davon, dass es wohl kaum Menschen gegeben hat, gibt oder geben wird, die nach dieser Definition völlig gesund sind, zeigt sich in dieser Definition die grundlegende Schwierigkeit, die mit dem Gesundheitsbegriff einhergeht: wir wissen mehr oder weniger genau, was Krankheiten sind, was Gesundheit aber mehr sein soll, als die Abwesenheit von Krankheit, können wir indes kaum bestimmen, ohne die Definition ins Unbestimmte ausschweifen zu lassen, womit der Sinn einer Definition verfehlt wird. »Die Grundtatsache bleibt,« schreibt Gadamer in seinem Aufsatz Über die Verborgenheit der Gesundheit, »dass die Krankheit und nicht die Gesundheit das sich selbst Objektivierende, d. h. sich Entgegenwerfende, kurz, das Aufdringliche ist.«2 Es war nicht zuletzt Nietzsche, der Denker der Krankheit, der nicht nur die Krankheit der Moderne selbst immer wieder thematisierte, sondern auch die praktische Unabtrennbarkeit von Gesundheit und Krankheit, und vor allem deren Perspektivität betont hat, Nietzsche, der die Ansicht vertrat: Krankheit sei nämlich ebenso »ein energisches Stimulans zum Leben, zum Mehr-leben«.3

Die Aufnahme eines solchen sich einer inhaltlichen Festlegung entziehenden Begriffs in die Begründung des Kampfes gegen Doping wird bereits auf der sportinternen Ebene hochproblematisch: Hochleistungssport ist auf keinen Fall gesund, sondern geht mit spezifischen und allgemeinen Gesundheitsrisiken einher. Zwar weiß jeder, dass Bewegung für die Gesunderhaltung des Körpers wichtig ist, einseitige und extreme Belastungen gelten dagegen als gesundheitsgefährdend. Tatsächlich werden zahlreiche Leistungssportler aufgrund der Ausübung ihres Sports krank. Das betrifft Verschleißerscheinungen aller Art an Gelenken und Knorpeln ebenso wie akute Verletzung aufgrund von Unfällen. Das betrifft bezeichnenderweise nicht nur den Hochleistungssport, sondern auch den Breitensport. Das Gesundheitsargument müsste folglich dazu führen, zumindest den Hochleistungssport insgesamt zu unterbinden. Die Verknüpfung des Kampfs gegen Doping mit dem Gesundheitsargument führt zu einer ambivalenten Situation, sobald das Problem die Grundlagen des Sports betrifft. Die Einnahme von Anabolika ist riskant für die Gesundheit, deshalb sollte sie verboten werden. Zugleich kann nicht jedes gesundheitsschädigende Verhalten aus dem Sport eliminiert werden, ohne dass gleich ganze Sportarten verschwinden müssten, etwa das Boxen. Was die Diskussion um das Doping deutlich macht, ist eine Entwicklung, die in der Moderne typisch ist: grundlegende Werte, Werte, die für die Zielsetzung des Einzelnen wie für das Zusammenleben von hoher Bedeutung sind, werden in ambivalente Diskurse verstrickt, wenn sie mit einem Totalanspruch auftreten. Das Doping im Sport zeigt diese Ambivalenz wie durch ein Brennglas und, durch die mediale Vermittlung, zugleich mit einer inszenierten Dramaturgie, mit Protagonisten und Antagonisten, die letztlich in eine ausweglose Situation geraten.

Gerade in Bezug auf die Gesundheit erleben wir ähnliche Phänomene auch in der Gesellschaft, als deren Teil der Sport anzusehen ist. Die Forderungen nach einer restriktiven Haltung gegenüber gesundheitsgefährdenden Praktiken werden immer lauter, betreffe dies nun das Rauchen, das Trinken, den Drogenkonsum oder andere Praktiken, die den Einzelnen oder die Solidargemeinschaft schädigen könnten. Die Totalisierung des Gesundheitsgedankens führt zu einer Beschneidung der Freiheit des Einzelnen. Es ist dabei natürlich zu fragen, ob diese tendenzielle Illiberalität nicht letztlich kurzschlüssig ist. Auf der einen Seite ist klar, dass es, wie Kant es formuliert, Pflichten gegen sich selbst gibt, zu denen unbestritten auch gehört, dass ein Mensch sich nicht mutwillig zerstören soll. So schreibt Kant: »Der Mensch aber ist keine Sache, mithin nicht etwas, das bloß als Mittel gebraucht werden kann, sondern muß bei allen seinen Handlungen jederzeit als Zweck an sich selbst betrachtet werden. Also kann ich über den Menschen in meiner Person nicht disponieren, ihn zu verstümmeln, zu verderben, oder zu töten.«4 Aber diese Pflicht hat nur jeder gegen sich selbst, und es ist sehr fraglich, ob sich aus dieser Pflicht ohne weiteres eine gesetzliche Einschränkung der Willensfreiheit aller ergeben kann. Beim Doping jedenfalls sind die staatlichen Normen zurzeit noch liberal geregelt: Der Konsum von Dopingmitteln ist gesetzlich nicht verboten. Allerdings bestimmt das Arzneimittelgesetz, dass niemand, außer ein Arzt unter gegebenen Indikationen oder ein Apotheker auf Rezept, mit solchen Mitteln handeln oder solche Mittel in Verkehr bringen darf. Die Verbandsnormen sind restriktiver als die Rechtsnormen und belegen auch den Konsum mit Sanktionen.

Die Hochwertung der Gesundheit ist eine immanente Wertsetzung des Sports, zugleich aber ein Problem der sich ausdifferenzierenden Moderne. Die Isolation von Werten, die der Begründung gesellschaftlicher Praktiken dienen soll, läuft in eine Aporie aus, wenn nicht mehr darauf reflektiert wird, dass Werte zu Konflikten führen, wenn sie nicht miteinander in Beziehung gesetzt werden. Beim Doping im Sport ergibt sich ein Konflikt zwischen der Freiheit und dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen und dem Wert der Gesundheit und seiner gesellschaftlichen Bedeutung.5 Darüber hinaus muss man feststellen, dass exzessiver Sport zu einseitigen Belastungen und körperlichen Schäden führen kann. Gesundheit ist daher einerseits das erklärte Ziel des Sports, seine Rechtfertigung im Zusammenhang mit staatlichen Fördermitteln, andererseits wird aber im Hochleistungssport dieses Ziel strukturell verfehlt.

1 Zum Gesundheitsbegriff vgl.: Antonovsky, Aaron – Franke, Alexa: Salutogenese: zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen 1997; Bengel, Jürgen – Strittmatter, Regine – Willmann, Hildegard: Was erhält Menschen gesund? Antonovslys Modell der Salitogenese – Diskussionsstand, Stellenwert. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Köln 2001; Caplan, Arthur L. – McCartney, James J. – Sisti, Dominic A. (Hg.): Health, Disease and Illness. Concepts in Medicine. Georgetown, Washington D.C. 2004; Widerspruch. Münchner Zeitschrift für Philosophie 24 (2004), H. 42: »Gesundheit«; Currer, Caroline – Stacey, Margaret (Hg.): Concepts of Health, Illness and Disease. A Comparative Perspective. Oxford 1986; Spijk, Piet van, Definitionen und Beschreibungen der Gesundheit. Ein medizinhistorischer Ueberblick. (Schriftenreihe der SGGP; 22) Muri/Schweiz 1991, 21994.

2 Gadamer, Hans-Georg: »Über die Verborgenheit der Gesundheit«. In: ders.: Über die Verborgenheit der Gesundheit. Aufsätze und Vorträge. Frankfurt a. M. 1993, S. 137.

3 Nietzsche, Friedrich: Ecce homo, KSA 6, S. 266.

4 Kant, Immanuel : Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, BA 67

5 Vgl. dazu Figura, Lars: Doping. Zwischen Freiheitsrecht und notwendigem Verbot. (Sportforum; 20) Aachen 2009.

 

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