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Dopingdefitionen - die Listenpolitik der WADA

Analyse der Dopingdefitionen - die Listenpolitik der WADA

Die Listenpolitik der WADA

Im Rahmen ihrer Anti-Doping-Maßnahmen bildet insbesondere die Liste der verbotenen Substanzen und Methoden die konkrete Benennung dessen, was unter Doping zu verstehen ist. Im Folgenden wird unter dem Stichwort der Listenpolitk eine naturwissenschaftliche Definition des Dopings gegeben.

1. Vorbemerkungen zum WADA-Code und die aktuelle Definition des Dopings

Der programmatische Grundgedanke des WADA-Codes hat den »Schutz des Grundrechts der Athleten auf Teilnahme an dopingfreiem Sport und somit weltweite Förderung der Gesundheit, Fairness und Gleichbehandlung der Athleten«1 zum Ziel. Damit werden weitreichende Voraussetzungen gemacht, insbesondere dass es so etwas wie eindeutig zu bestimmende Gesundheit und für alle Athleten gleichermaßen vorhandene Trainings- und Wettbewerbsbedingungen gibt. Während ein Wert wie Fairness zumindest auf dem Niveau des Regelbefolgens noch nachvollziehbar erscheint, d. h. dass sich alle an die für eine Sportart gültigen Regeln halten, offenbart schon der alltägliche Blick auf das Sportgeschehen die Schwierigkeiten mit Blick auf Gesundheit und Gleichbehandlung. Im Rahmen des Leistungssports stellt sich die Frage nach Gesundheit unter ganz anderen Bedingungen als im gängigen therapeutischen Kontext, weil die Gesundheit des Sportlers allein durch die Ausübung des Sports selbst beeinträchtigt werden kann. Von einer Gleichbehandlung könnte schließlich nur dann die Rede sein, wenn allen Athleten dieselben technischen und medizinischen Ressourcen zur Verfügung stünden, was allerdings fraglich ist, da letztlich nicht alle Athleten über dieselben finanziellen Ressourcen verfügen. Müßig wird schließlich die Frage nach den genetischen Voraussetzungen, die eine Ungleichheit zwischen den Athleten notwendig implizieren.2

Die Bemühungen um die Gesundheit und Gleichbehandlung sollen mit dem WADA-Code sichergestellt, harmonisiert und koordiniert werden.3 Schaut man sich die diversen offiziellen Erklärungen zum »Schutz der Athleten« an, zeigt diese Bündelung der Ressourcen im Kampf gegen das Doping, dass es sich hier um ein von offizieller Seite ernst genommenes Problem handelt. Dennoch bleibt die Frage, worum es sich beim Doping überhaupt genau handelt.

Der WADA-Code fährt in der Bestimmung des Dopings einen essentialistischen Kurs. In den Ausführungen zum Grundgedanken des Welt-Anti-Doping-Code ist zu lesen, dass Anti-Doping-Programme darauf abzielen, »die wahren, mit dem Sport ursprünglich verbundenen Werte zu erhalten.«4 Diese Werte sammeln sich im beschworenen »Sportsgeist«, der das »Wesen des Olympischen Gedankens«5 ausmache. Ohne hier nun eine Diskussion um den weltanschaulichen Wert von Olympia führen zu wollen, erscheint dieses Wesen des Sports, wenn es das überhaupt jemals so gegeben hat, vor dem Hintergrund der technologisierten Lebenswelt zumindest insofern naiv, als dass ein sportlicher Idealtypus für wahr und wirklich gehalten wird, der der lebensweltlichen Realität gegenüber reichlich unterbestimmt ist. Damit soll nicht behauptet werden, dass sportliche Ideale nur ideologische Hirngespinste sind, doch scheint solch eine einseitige Wesensschau des Sports in krassem Widerspruch zur lebens- und sportweltlichen Wirklichkeit zu stehen. Konkret zeigt sich dieser Widerspruch auch an den im Code aufgeführten Werten.6 Die Verfasser des Codes lassen den Sportler völlig im Unklaren, wie denn beispielsweise Gesundheit und Hochleistung – jeweils für sich genommen ohne Zweifel den Sport maßgeblich charakterisierende Werte – miteinander vereinbar sein mögen. Es entsteht die »seltsame Situation, dass sie [die Sportler; P.G.] dem generell auf Steigerung hin ausgerichteten Sieg- und Überbietungsimperativ genügen müssen und dabei gleichzeitig auch die normativen Ideale der Institution des Sports beachten sollen«7 Als idealtypische Konstruktion muss dann der »edle Amateur« herhalten, der Sport letztlich nicht aus agonalen, sondern ästhetischen Ambitionen betreibt.

Während die Mehrheit der Werte ganz in das idealisierte Schema eines aufgeklärten und sozial verantwortlichen Sportlers passt, fallen die leistungsbezogenen Werte wie Hochleistung, Einsatzbereitschaft und Engagement sowie eventuell auch Mut aus diesem Schema heraus, solange nicht eindeutig gezeigt wird, wie unter den Bedingungen einer hochtechnisierten Lebenswelt die gleichzeitige Realisierung solcher sich tendenziell widersprechender Werte möglich sein kann.

Verspricht die WADA zum Erhalt des Sportsgeistes in diesem programmatischen Teil noch »Erziehungsprogramme für Athleten, einschließlich junger Sportler, und für Athletenbetreuer«8, offenbart sich in der aktuellen Definition des Dopings die ganze konzeptuelle Hilflosigkeit, die letztlich auch Ausdruck der Widersprüche auf der programmatischen Ebene ist.

In Artikel 1 des WADA-Codes wird Doping definiert »als das Vorliegen eines oder mehrerer der nachfolgend in Artikel 2.1 bis Artikel 2.8 festgelegten Verstöße gegen Anti-Doping-Bestimmungen.«9 Dabei sind aus pharmazeutischer Sicht insbesondere drei Artikel von besonderem Interesse.

Artikel 2.1: »Vorhandensein eines verbotenen Wirkstoffs, seiner Metaboliten oder Marker in der Probe eines Athleten«

Es gilt dabei das Prinzip der verschuldensunabhängigen Haftung (strict liability [= Haftung] rule; vgl. Artikel 2.1.1), wobei es folgende Ausnahmen gibt:

  • Artikel 10.4: Aufhebung oder Minderung einer Sperre bei speziellen Wirkstoffen und aufgrund bestimmter Umstände

  • Artikel 10.5: Aufhebung oder Minderung einer Sperre aufgrund außergewöhnlicher Umstände.

Das Vorhandensein richtet sich entweder nach Schwellenwerten oder es wird unabhängig von der Menge ein Dopingvergehen festgestellt, siehe dazu Artikel 2.1.3 und 2.1.4.

Artikel 2.2: »Anwendung oder der Versuch der Anwendung eines verbotenen Wirkstoffs oder einer verbotenen Methode seitens eines Athleten«

Interessant ist dabei, dass das Kriterium der Leistungssteigerung hier nicht relevant ist, da es nach Artikel 2.2.2 ausreichend ist, »dass der verbotene Wirkstoff oder die verbotene Methode angewendet wurde oder ihre Anwendung versucht wurde, um einen Verstoß gegen Anti-Doping-Bestimmungen zu begehen.«

Artikel 2.6: »Besitz verbotener Wirkstoffe und verbotener Methoden«

Ausnahmen gelten im Falle therapeutischer Anwendung10 sowie »einer anderen annehmbaren Begründung«11. Die annehmbaren Begründungen werden folgendermaßen exemplifiziert: »Eine annehmbare Begründung würde beispielsweise nicht den Kauf oder Besitz eines verbotenen Wirkstoffs beinhalten, den man einem Freund oder einem Verwandten weitergeben wollte, es sei denn, es sind gerechtfertigte medizinische Umstände gegeben, unter denen der betreffenden Person ein ärztliches Rezept vorlag, so dass z.B. Insulin für ein Kind mit Diabetes gekauft wurde.«12 Oder es läge der Fall vor, dass ein Mannschaftsarzt entsprechende Mittel zur Notfallbehandlung mit sich führt.

Auch hier zeigt sich bereits die große Ambivalenz zwischen einer therapeutischen bzw. Notfallsituation und einer leistungssteigernden Verwendung, deren Klärung durch solche Regelungen auf die entsprechenden Gerichte verlagert wird.

Die Feststellung von Dopingvergehen beruht also maßgeblich auf der positiven Analyse von Dopingproben, d. h. insbesondere auf dem biochemischen Nachweis, es sei denn, man findet die Präparate selbst beim Athleten, und er kann den Besitz nicht begründen. Während die besondere Thematik der Analysen und Grenzwertbestimmungen im nächsten Teil untersucht wird, ist es hier zunächst entscheidend, dass Doping dadurch pharmazeutisch definiert ist, dass es auf das physiologische Vorhandensein bestimmter Mittel im Körper des Athleten bzw. in dessen unmittelbarer Umgebung zurückgeführt wird. Die unerwünschten Mittel werden in der Verbotsliste aufgeführt.

2. Die Dopinglisten

Ausgangspunkt dieser Untersuchung sind die Listen, die die verbotenen Substanzen und Methoden enthalten und damit festschreiben, was Doping und damit verboten ist. Die für den gesamten (Hoch)leistungssport maßgebende Liste stellt die WADA auf. Die nationalen Anti-Doping-Agenturen und die Sportverbände orientieren sich an dieser Liste. Im Rahmen der Vereinheitlichung der Anti-Doping-Bemühungen gilt die WADA-Liste als weltweiter Standard.

Mit Blick auf die Ebene der jeweils nationalen Legislative gibt es eine ganze Reihe von internationalen Übereinkommen und Gesetzen, die im Falle der Bundesrepublik Deutschland in der aktuellen Fassung des Arzneimittelgesetzes (AMG) münden.13 Das AMG verpflichtet im Rahmen der Anforderungen an Arzneimittel (Zweiter Abschnitt) zu einem in Bezug auf die Gesundheit rücksichtsvollen Umgang mit Arzneimitteln. Nach §6, Abs. 1 (Ermächtigung zum Schutz der Gesundheit) muss der Umgang14 mit Arzneimitteln eingeschränkt werden, »soweit es zur Risikovorsorge oder zur Abwehr einer unmittelbaren oder mittelbaren Gefährdung der Gesundheit von Mensch oder Tier durch Arzneimittel geboten ist.« Die dopingrelevanten Vorschriften finden sich in §6a (Verbot von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport). Demnach ist es verboten, »Arzneimittel zu Dopingzwecken im Sport in den Verkehr zu bringen, zu verschreiben oder bei anderen anzuwenden« (Abs. 1), wobei dies nur für solche Mittel und Methoden gilt, die im Anhang des Übereinkommens gegen Doping (vgl. Abs. 2) aufgelistet sind. Des Weiteren ist der Besitz »in nicht geringer Menge zu Dopingzwecken im Sport« (AMG §6a, Abs. 2a) verboten.15 Das Kriterium für die Aufnahme von Mitteln oder Methoden auf die Liste gemäß §6a, Abs. 1 verlangt es, dass »eine unmittelbare oder mittelbare Gefährdung der Gesundheit des Menschen durch Doping im Sport« (Abs. 3) zu erwarten ist.16

Als Kernstück der Anti-Doping-Maßnahmen fungiert die Verbotsliste als das eigentliche inhaltliche Definiens von Doping, denn Doping besteht eben in der Einnahme eines dort aufgeführten Mittels bzw. der Anwendung einer dort aufgeführten Methode. Im Sinne des Kampfes gegen Doping beginnt die Verbotsliste mit dem medizinischen Imperativ: »Die Anwendung jedes Arzneimittels soll auf medizinisch begründete Indikationen beschränkt werden.«17 Worin nun aber gerade derlei »medizinisch begründete Indikationen« im Leistungssport bestehen, ist die entscheidende und durch die WADA anscheinend bereits beantwortete Frage. Im Folgenden werden zunächst nur diejenigen Wirkungen beschrieben, die vermeintlich als leistungssteigernd einzustufen sind. Nicht bei jedem Mittel ist eine solche Wirkung eindeutig belegt.18 Die Funktion dieser Liste wird in Artikel 4 Die Liste verbotener Wirkstoffe und Methoden bestimmt. Aus naturwissenschaftlicher Perspektive ist dabei die Zusammensetzung dieser Liste von besonderem Interesse.

Gemäß der WADA-Richtlinien müssen »zwei der folgenden drei«19 Kriterien des Artikels 4.3 Kriterien für die Aufnahme von Wirkstoffen und Methoden in die Liste verbotener Wirkstoffe und verbotener Methoden erfüllt sein, damit ein Mittel oder eine Methode verboten werden:

  1. Das Mittel oder ein enthaltener Wirkstoff (bzw. die Kombination mit anderen Wirkstoffen) besitzt das Potential, sportliche Leistung zu steigern bzw. steigert diese. Die (angenommene) Leistungssteigerung beruht dabei auf einem medizinischen oder einem sonstigen wissenschaftlichen Beweis, der pharmakologischen Wirkung oder einer entsprechenden leistungssteigernden Erfahrung.

  2. Die gleiche wissenschaftstheoretische Basis dient zur Feststellung einer Gesundheitsgefährdung des Athleten, die ebenso ein Kriterium darstellt.

  3. Schließlich kann eine Verletzung des obengenannten Sportsgeistes zu einem Verbot führen.20

Generell enthält diese Liste diejenigen Wirkstoffe und Methoden, »die wegen ihres Potentials der Leistungssteigerung in zukünftigen Wettkämpfen oder ihres Maskierungspotentials zu jeder Zeit als Dopingmittel (außerhalb und während des Wettkampfes) verboten sind, sowie jene Wirkstoffe und Methoden, die nur während des Wettkampfes verboten sind.«21 Die Wirkstoffe und Methoden sind dabei nach unterschiedlichen Kategorien bezüglich der chemischen Zugehörigkeit bzw. Wirkungsweise geordnet. Ergänzt wird die Verbotsliste durch die Beispielliste zulässiger Medikamente, die jeweils für verschiedene, unter Sportlern häufig vorkommende Symptome entsprechende Wirkstoffe aufführt.22

Die Hauptgruppe der Dopingmittel bilden die anabolen Stoffe sowie verschiedene Hormone. Anabole (den Muskelaufbau beschleunigende) Steroide sind synthetische Abkömmlinge des männlichen Sexualhormons Testosteron. Grundsätzlich gilt es zwischen der anabolen und androgenen Wirkungsweise zu unterscheiden, wobei man in der künstlichen Herstellung bestrebt ist, den androgenen Effekt, d. h. die Wirkung auf die Entwicklung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale, gering zu halten. Erwünscht ist demgegenüber die anabole Wirkung, d. h. insbesondere ein erhöhter Aufbau von Muskelmasse. Neben dieser gesteigerten Proteinsynthese und dem damit einhergehenden Muskelaufbau beeinflusst Testosteron ebenso die Erythropoese im Knochenmark und die Erythropoietinsynthese in den Nieren zugunsten eines höheren Hämatokrits. Damit wird der Sauerstoffgehalt des Bluts erhöht, was vor allem im Krafttraining zu einer höheren Regenerationsfähigkeit führt.

Eine ähnliche muskelauf- und fettabbauende Wirkung hat das Wachstumshormon Somatotropin (GH = Growth Hormone), das auch in Kombination mit Testosteron verabreicht wird. Insulinähnliche Wachstumsfaktoren (z.B. IGF-1 = Insulin-like growth factors) und mechanisch induzierte Wachstumsfaktoren (MGFs) wirken sich ebenso günstig auf das Zellwachstum aus. Hormone finden auch Anwendung in der Steuerung anabolischer Effekte. Mittels Choriongonadotropin (CG) wird der durch Anabolika verursachten Hodenschrumpfung entgegengewirkt, während das luteinisierendes Hormon (LH) die Testosteronproduktion anregt. Insuline wiederum wirken der durch Somatotropin verursachten verringerten Glukoseaufnahme in den Muskelzellen entgegen, zudem wird eine stärkere Füllung von Glykogenspeichern erreicht, was für Ausdauersportler wichtig ist. Corticotropine regen die Produktion von Glukokortikoiden, Mineralokortikoiden und Sexualhormonen an. Und schließlich wären noch die allseits bekannten Erythropoiese-stimulierenden Stoffe (zum Beispiel Erythropoietin (EPO), Darbepoietin (dEPO), Hematide) zu nennen, die zu einer erhöhten Bildung roter Blutkörperchen und damit zu einem erhöhten Sauerstoffgehalt des Blutes führen. Dadurch wird die Ausdauerfähigkeit signifikant gesteigert.

Präparate wie Formoterol, Salbutamol, Salmeterol und Terbutalin wirken bei Asthmakranken bronchienerweiternd und bei systemischer Gabe auch anabol. Untersuchungen mit inhalativ verabreichten Beta-2-Agonisten zeigten, dass kein Leistungsvorteil erzielt wird.23 Aromatasehemmer, wie Anastrozol, Letrozol, Aminogluthetimid, Exemestan, Formestan und Testolacton, blockieren die nach der Einnahme von Anabolika erhöhte Bildung von Estrogenen, dem wichtigsten weiblichen Geschlechtshormon. Hier wären auch noch weitere andere antiestrogene Stoffe, wie Clomifen, Cyclofenil und Fulvestrant, zu nennen. Selektive Estrogen-Rezeptor-Modulatoren (SERMs), wie Raloxifen, Tamoxifen und Toremifen, hemmen den Knochenabbau und greifen dabei ebenso tiefgehend in den Hormonhaushalt ein wie Myostatinhemmer, die die Myostatinfunktion, d. h. die körpereigene Hemmung des Muskelwachstums, einschränken.

Stimulantien wie Adrenalin, Amphetamin, Cocain oder Ephedrin erweitern die Bronchien und erhöhen die Herzkraft sowie die Herzfrequenz, wobei das Resultat einer höheren Leistungsfähigkeit hier nicht eindeutig belegt ist. Aufgrund der unklaren Dosis-Wirkungsbeziehung ist eine Leistungssteigerung durch Koffein nicht eindeutig gegeben.24 Hier soll das Überwachungsprogramm 2009 Aufschluss geben. Narkotika, wie Methadon, können in leichten Dosen motivationsfördernd wirken und weiterhin schmerzstillend eingesetzt werden. Allerdings ist der leistungssteigernde Effekt auch hier umstritten.25 Cannabinoide haben sehr verschiedene Wirkungen, d. h. sie können Aggressivität hemmen bzw. verstärken oder die Aktivität von Nervenzellen erhöhen bzw. dämpfen.26 Wie im Falle der Narkotika ist der ergogene Effekt auch hier nicht bewiesen, während Hinweise auf eine leistungsmindernde Wirkung vorliegen.27 Glukokortikoide haben eine entzündungshemmende Wirkung, so dass sie zur Unterdrückung von Schmerzen während einer sportlichen Tätigkeit benutzt werden. Ein ergogener Effekt konnte noch nicht eindeutig nachgewiesen werden. Darüber hinaus stellt der Nachweis spezifische Probleme, so dass Kindermann zu dem Schluss kommt, dass »der zu erwartende bürokratische Aufwand in keinem Verhältnis zur wissenschaftlichen Datenlage über ergogene Effekte von Glukokortikoidsteroiden [steht].«

Trotz der rigiden Listenpolitik sieht der WADA-Code einige Ausnahmeregelungen vor, denen zufolge ein Athlet zu den ansonsten verbotenen Mitteln greifen darf. Neben den speziellen Wirkstoffen bzw. außergewöhnlichen Umständen kann die therapeutische Einnahme verbotener Stoffe beantragt werden. Therapeutische Anwendungen können die Artikel 2.1, 2.2, 2.6 und 2.8, also die Artikel, die das Vorhandensein eines Wirkstoffes im Körper oder dessen Besitz ahnden, außer Kraft setzen, wenn diese Anwendungen gemäß den TUE (therapeutic use exemptions) berechtigt sind (Art. 4.4).28 Zur Handhabung dieser therapeutischen Ausnahmeregelungen dient der internationale Standard für Therapeutic Use Exemptions29.

Artikel 10.5 enthält eine ganze Reihe außergewöhnlicher Umstände, wobei im Folgenden nur diejenigen relevant sind, denen eine medizinisch-pharmazeutische Begutachtung zugrunde liegt.30 Derlei bestimmte Umstände sind gegeben, wenn der Athlet glaubhaft nachweisen kann, dass er ein verbotenes Mittel nicht zum Zweck der Leistungssteigerung besitzt bzw. eingenommen hat. Aus diesem Grunde wurden auch einige der Mittel als spezielle Wirkstoffe eingeteilt, so dass im Falle einer positiven Analyse eine differenzierte Beurteilung hinsichtlich eines möglichen Dopingvergehens erfolgen kann. Im Falle spezieller Wirkstoffe wird nämlich davon ausgegangen, dass auch eine andere als leistungssteigernde Wirkung beabsichtigt ist. Aus medizinisch-pharmazeutischer Sicht ist es hier entscheidend, wie der Athlet nachweisen kann, »dass keine Absicht vorlag, die sportliche Leistung zu steigern«31. Eine solche Begründung führt dann im Bestfall zu einer Aufhebung oder einer Minderung der Strafe (vgl. Art. 10.4). Beispielsweise wird angeführt, dass die Eigenschaft des Wirkstoffes oder der Zeitpunkt seiner Einnahme keinen leistungssteigernden Vorteil erbracht hat oder eine medizinisch-therapeutische Diagnose vorlag, die eine wettkampfunabhängige Einnahme vorschreibt. Eine weitere durchaus problematische Regelung besteht in diesem Zusammenhang darin, »dass die Beweislast des Athleten, wonach er die fehlende Leistungssteigerung nachweisen muss, in Relation zum Leistungssteigerungspotential des Wirkstoffs steigt.«32 Dies setzt voraus, dass das Leistungssteigerungspotential eindeutig bestimmt werden kann und dann in Relation zu einer juridischen Beweislast gesetzt werden können muss. Dieses grundlegende methodologische Problem der Quantifizierung wirft große Fragen nach der Umsetzbarkeit solcher Regeln auf, wenn epistemisch gesonderte Bereiche wie körperliche Leistungssteigerung und juridische Beweislast korreliert werden. Nicht nur dass die Quantifizierung in beiden Bereichen schon problematisch genug wäre, verschärft wird diese Situation noch dadurch, dass eine solche Korrelation trotz der zweifelhaften Umsetzung notwendig ist, um ein entsprechendes Verdachtsmoment mit Blick auf die verschuldensunabhängige Haftung zu generieren.

Eine besondere Ausnahme bildet die Behandlung von Asthma, für die in den TUE ein eigener Anhang eingerichtet wurde. Der Anteil der zu behandelnden Asthmafälle sei allerdings »nicht höher, als es nach der Häufigkeit der jeweiligen Erkrankung in der ‚normalen‘ nicht Leistungssport treibenden Bevölkerung zu erwarten wäre.«33 Kritisch merkt die Arbeitsgruppe Medizin und Analytik der Nationalen Antidoping-Agentur an, dass unter den vorliegenden bzw. bekannten Dopingfällen keine TUE-Fälle vorkommen. Eine Ausrichtung der Anti-Doping-Bemühungen auf die Vergabe therapeutischer Ausnahmegenehmigungen würde indes von den eigentlichen, im wahrsten Sinne des Wortes substantiellen Dopingproblemen ablenken, die mit den Substanzklassen der Anabolika, Hormone sowie mit den Methoden des Blutdopings zusammenhängen.

 

1 Welt-Anti-Doping-Agentur (Hg.): Welt-Anti-Doping-Code. Montreal 2009, S. 6 [abgekürzt: WADA-Code] (http://www.wada-ama.org/rtecontent/document/code_
v2009_De.pdf
).

2 Eine eigene Untersuchung müsste im Detail zeigen, wie die für jeglichen agonalen Sport konstitutive und zugleich genetisch gegebene Ungleichheit zwischen den Athleten mit der Forderung nach Gleichheit zu vereinbaren ist.

3 Vgl. WADA-Code 2009, S. 6.

4 Ebd., S. 8.

5 Ebd., S. 8.

6 Die Liste der Werte lautet: Ethik, Fairness und Ehrlichkeit; Gesundheit; Hochleistung; Charakter und Erziehung; Spaß und Freude; Teamgeist; Einsatzbereitschaft und Engagement; Anerkennung von Regeln und Gesetzen; Respekt gegenüber der eigenen Person und gegenüber anderen Teilnehmern; Mut; Gemeinschaftssinn und Solidarität; vgl. WADA-Code 2009, S. 8.

7 Emrich, Eike – Pitsch, Werner (Hg.): Sport und Doping. Zur Analyse einer antagonistischen Symbiose. Frankfurt a. M. u.a. 2009, S. 10.

8 WADA-Code 2009, S. 8.

9 WADA-Code 2009, S. 11.

10 Vgl. Artikel 4.4 sowie Abschnitt II.3.

11 WADA-Code 2009, S. 15.

12 WADA-Code 2009, S. 15. Diese im WADA-Code genannten Beispiele wirken wie bereits vorformulierte Ausreden im Falle eines Verstoßes gegen das Besitzverbot und untergraben damit den Anspruch des Codes auf Dopingbekämpfung, indem reichlich künstliche Fälle konstruiert werden, da die Medikamentenbeschaffung für Freunde und Familie sicherlich nicht in den Hauptaufgabenbereich des Sportlers fällt.

13 Die dopingrelevanten Verordnungen sind zusammengefasst im Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Dopings im Sport vom 24.10.2007. Neben einer Ergänzung im Bundeskriminalamtgesetz wurde insbesondere das AMG mit Blick auf Doping spezifiziert und so die vorherigen Übereinkommen und Absichtserklärungen gebündelt (vgl. zur Vorgeschichte: Feiden, Karl – Blasius, Helga: Doping im Sport. Wer – Womit – Warum. Stuttgart 2008, S. 105-115): 1. Eventuelle Übertragung der Ermittlungen auf das Bundeskriminalamt, 2. Strafen für gewerbs- oder bandenmäßig verübte Dopingstraftaten, 3. Strafbarer Besitz nicht geringer Mengen an Dopingmitteln, 4.Warnhinweise auf dopingrelevanten Arzneimitteln.

Davon unterschieden werden muss die Initiative des Freistaats Bayerns hinsichtlich einer strafrechtlichen Verankerung des Dopings; siehe dazu den entsprechenden Gesetzesentwurf unter http://www.justiz.bayern.de/imperia/md/ content/stmj_internet/ministerium/ministerium/gesetzgebung/entwurf_bekaempfung_doping.pdf

14 Ein eingeschränkter Umgang bedeutet hier »die Verwendung bestimmter Stoffe, Zubereitungen aus Stoffen oder Gegenstände bei der Herstellung von Arzneimitteln vorzuschreiben, zu beschränken oder zu verbieten und das Inverkehrbringen und die Anwendung von Arzneimitteln, die nicht nach diesen Vorschriften hergestellt sind, zu untersagen« (AMG §6, Abs. 1).

15 Die geringen Mengen sind in der Dopingmittel-Mengen-Verordnung (DmMV) festgesetzt. Das AMG regelt allerdings nur den Gebrauch an Menschen, wobei das Doping von Tieren gemäß § 3 Abs. 1b Tierschutzgesetz verboten ist; vgl. dazu Feiden/Blasius 2008, S. 175-178.

16 Obwohl im Folgenden das Doping an bzw. durch Menschen zentral steht, muss ebenso das Doping an Tieren berücksichtigt werden (eine Übersicht findet sich in Feiden/Blasius 2008, S. 175-178). Gerade im Pferdesport werden die Tiere mit diversen Medikamenten behandelt, und dies nicht nur aus agonalen Interessen, sondern auch mit Blick auf die Preispolitik der Pferdezucht. Im Zusammenhang mit dem Wettgeschäft tritt hier auch das Phänomen negativen Dopings auf, wodurch rennstarke Pferde in den Vorrunden geschwächt werden, damit im Hauptrennen deren Quote steigt. Dieser Effekt wird durch eine massive Dehydrierung erreicht, die vor dem entscheidenden Rennen mittels der Verabreichung einer großen Menge Wassers kompensiert. Natürlich wissen von dieser Manipulation nur Eingeweihte, die dann entsprechenden Wetten abschließen. Insgesamt scheint die Situation im Pferdedoping noch um einiges unübersichtlicher als beim Humandoping. Die letzte Initiative des internationalen Verbandes FEI zur Dopingbekämpfung scheint dabei eher eine Etablierung der bisherigen Dopingpraxis zu sein (vgl. dazu Fröhlingsdorf, M., Ludwig, U. und Neumann, C.: »Doping gestrichen.« In: DER SPIEGEL 24/2009, S. 118-119). Insgesamt verlangt das Doping von Tieren eine tiefgehende Analyse gerade der ethischen Aspekte, die noch dadurch verkompliziert wird, dass neben der Frage des ethischen Status des Tieres auch das Verhalten des Reiters berücksichtigt werden muss.

17 Welt-Anti-Doping-Agentur (Hg.): Die Verbotsliste 2009, [abgekürzt WADA-Verbotsliste], S. 3.

18 Die folgenden Wirkungsbeschreibungen beruhen auf Feiden/Blasius 2008, S. 7-51. Dort finden sich ausführliche Beschreibungen und Literaturhinweise. Im Folgenden werden die verbotenen Methoden nicht eigens aufgeführt.

19 WADA-Code 2009, S. 21.

20 Ein weiteres Kriterium bildet das Maskierungspotential (vgl. Art. 4.3.2), das im Kontext der Dopinganalytik eine zentrale Rolle spielt. Nahrungsergänzungsmittel (NEM) stehen derzeit noch nicht auf der Dopingliste, können aber auf Basis einer Verunreinigung auch zu einer positiven Dopingprobe führen (vgl. Feiden/Blasius 2008, S. 45f.). Besonderer Beliebtheit erfreut sich beispielsweise Kreatin, wobei ein ergogener Effekt, wie bei den meisten NEM, umstritten ist (vgl. ebd., S. 40f.).

21 WADA-Code 2009, S. 19f.

22 Nationale Anti Doping Agentur (Hg.), Beispielliste zulässiger Medikamente. Bonn 2009 (http://www.nada-bonn.de/fileadmin/user_upload/nada/Downloads/Listen/
090113_NADA_Beispielliste_2009.pdf).

23 Vgl. dazu dazu Kindermann, W: »Dopingproblematik und aktuelle Dopingliste.« In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 4/2004, S. 90-95, hier S. 91f.

24 Vgl. Kindermann 2004, S. 90f.

25 Vgl. Kindermann 2004, S. 93.

26 Hierzu vgl. Forth, Wolfgang (Hg.): Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie für Studenten der Medizin, Veterinärmedizin, Pharmazie, Chemie, Biologie sowie für Ärzte, Tierärzte und Apotheker. Heidelberg, Berlin, Oxford 71996, S. 310.

27 Vgl. dazu Kindermann 2004, S. 93. Sein Vorschlag ist die Trennung der Ahndung von Drogenkonsum unter Sportlern (als »sportwidriges Verhalten«, S. 94) und Dopingmittelkonsum.

28 In Deutschland jährlich ca. 140 TUEs, davon ca. 1/5 aus A-/B-/C-Kadern.

29 World-Anti-Doping-Agency (Hg.): International Standard for Therapeutic Use Exemptions. Montreal 2008 (gültig ab 1.1.2009), [abgekürzt: TUE-Standard]; idem: Therapeutic Use Exemption Guidelines. 29.04.2009.

30 Vgl. dazu Artikel 10.5.1 und 10.5.2.

31 WADA-Code 2009, S. 37.

32 WADA-Code 2009, S. 37f.

33 Urhausen A., Friedmann-Bette B., Dörr B., Meyer T., Wolfarth B., Thormann S.: »Stellungnahme zu den Therapeutischen Ausnahmegenehmigungen der Nationalen Antidoping-Agentur (NADA).« In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 4/2008, S. 98-99, hier S. 98.